Foto: Im Zentrum: der Harlekin. Martin Koch mit Statisten und Musikern des Gürzenich-Orchesters © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 25. Februar 2018
Der Kölner Oper gelingt mit Ullmanns „Kaiser von Atlantis“, einer der wesentlichen unter nationalsozialistischer Repression entstandenen Musiktheaterwerken, ein Abend aus einem Guss.
Viktor Ullmann notierte seinen „Kaiser von Atlantis“ in Theresienstadt 1944 auf den Rückseiten von Deportationslisten. Er komponierte die Oper für in diesem Lager inhaftierte Musiker und Sänger. Zu einer Aufführung kam es, aus bis heute nicht vollständig geklärten Gründen allerdings nicht. Bevor er selber nach Auschwitz ins Gas geschickt wurde, konnte Ullmann sein Werk zwei Mithäftlingen anvertrauen. So überlebte diese Musik. Aufgeführt wurde sie, wie auch die anderen Kompositionen des in den 20er und 30erJahren vornehmlich in Prag und Zürich sehr erfolgreich wirkenden Ullmann, lange nirgendwo. Erst 1975 wurde der „Kaiser von Atlantis“ in Amsterdam uraufgeführt. Wieder zehn Jahre später war die deutsche Erstaufführung in Stuttgart. Seitdem hat sich die einstündige Oper als kleiner erratischer Block am Repertoirerand etabliert.
Movens der Handlung ist der Erlass des Kaisers Overall, dass ab sofort jeder gegen jeden Krieg führen müsse. Wer denkt da nicht sofort an Goebbels‘ Sportpalastrede? Der hochintelligente, sozusagen episch verfremdet symbolistische Text von Peter Kien und Ullmanns Musik bersten geradezu vor Anspielungen und Assoziationsangeboten dieser Art. Rainer Mühlbach macht das am Pult mit den 14 Solisten des Gürzenich-Orchesters (unter anderem an Saxophon, Banjo und Harmonium) begeisternd hörbar. Immer wieder stechen die Zitate heraus, verweisen auf die Zeitoper der 20erJahre, hier auf Mahler, da wird ein Kinderlied ironisiert und instrumentalisiert („Schlaf Kindlein schlaf. Ich bin ein Epitaph. Dein Vater ging im Krieg zugrund…“), der Tod singt Blues und immer wieder drängt ein Motiv aus Josef Suks „Asrael – Symphonie“ in den Mittelpunkt, das ein Symbol des tschechischen Widerstandes gegen die Nationalsozialisten war. Und im Schlussquartett wird Bachs „Ein feste Burg“ – Choral travestiert, etwas, was nicht nur die Nazis immer wieder zu Repräsentationszwecken taten. Bei Ullmann wird das zum abgrundtief traurigen ironischen Akzent. Dazu blendet die Kölner Aufführung auch die andere Seite dieser Musik nicht aus. Der Schönberg-Schüler Ullmann ist kein Jünger der Zwölftonmusik, aber er experimentiert viel mit atonaler Musik, setzt bereits behutsam Klangflächen ein. Fast möchte man von Clusterformaten sprechen. Und all das kann man hören – fein abgestuft, transparent, aber auch mit geballter Kraft!
Eike Ecker, Oberspielleiterin der Kölner Oper, hat diese Musik prächtig zu lesen vermocht. Sie verordnet ihr eine sinnliche Farbdramaturgie, choreographiert das Stück genau durch und hält die Figuren hochintelligent in der Schwebe zwischen papiernem Klischee, symbolischer Aufladung und individueller Charakteristik. Da wird der Tod – Lukas Singer mit wendigem, wo nötig druckvollem Bass in seiner wohl besten Rolle, seit er im Kölner Ensemble ist – fast zum Conferencier. Seine Reaktion auf den Erlass des Kaisers, er stellt aus Protest gegen das allgemeine Sich-Umbringen einfach die Arbeit ein und niemand kann mehr sterben, erweist sich als verschwurbelte Utopie, als absurde Rebellion eines unabhängigen Mächtigen. Auch die Figur des Harlekins drängt ins Zentrum der Aufführung. Martin Koch taucht sie mit seiner immensen Musikalität und seiner kraftvollen Bühnenpräsenz in geradezu hinterhältig doppelbödige Melancholie. Der Clown kann nicht mehr lachen und Lachen machen. Aber er tut nichts. Noch so eine Anspielung. Den Kaiser schließlich gibt Nikolay Borchev, die schönste Stimme des Abends mit höhensicherem, gewollt leicht brüchigem Bariton als verspielten Jungen, der nichts will als seine Macht spüren und ausweiten, für den Verantwortung ein absolutes Fremdwort ist. Am Ende willigt er ein, als erster zu sterben, weil das endlose Leben ohne Macht über den Tod noch schlimmer ist. Auch Claudia Rohrbach, Judith Thielsen und Dino Lüthy gelingen prachtvolle Figuren. Hier und da sind alle Beteiligten allerdings ein wenig zu laut.
Denn man spielt in der Außenspielstätte am Offenbachplatz, nahe der eigentlichen Heimat der Kölner Oper, herabgekommen vom kurzfristigen Ziel zum Sehnsuchtsort am Horizont oder dahinter. Und dieser Raum ist nicht für Musiktheater entstanden. Darko Petrovic hat ihn kundig ausgestattet, mit einem riesigen an einen Zylinderhut erinnernden, unten offenen Trichter, aus dem der Tod herausfährt und mit abgerundeten Stellwänden, in denen sich der Klang entwickeln kann. Und doch bleibt die Akustik ein wenig hart und knallig, was aber der einzige Einwand bleibt, gegen eine Produktion, die sich kraftvoll, durchdacht, aus einem Guss präsentiert wie lange nicht alles in letzter Zeit bei der gebeutelten Kölner Oper.