Was bei „Lazarus“ durchaus keine einfache Aufgabe gewesen sein mag – Bowies Musical, noch zu Lebzeiten des Rock-Stars in New York uraufgeführt, sortiert einen repräsentativen Querschnitt von frühen bis zu den letzten, von bekannteren bis zu weniger vertrauten Songs aus mehr als vier Jahrzehnten Karriere. Es schreibt im übrigen die Fabel aus Nicolas Roegs Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“ aus dem Jahr 1976 fort. Mister Newton (im Kino damals von Bowie gespielt) gilt als Außerirdischer, der nicht zurück kehren kann in die heimische Fremde; als modern leidender „Lazarus“ wird er nun von Alpträumen heimgesucht: von einem Freund aus Jugendtagen, einem Liebespaar, das bald heiraten wird, und von einer von Newtons Charisma besessenen Assistentin, der der entrückte Chef längst wichtiger ist als der eigene Ehemann. Auch ein junges Mädchen schneit bei Newton herein – noch so eine verlorene Seele, eine Untote womöglich, die verspricht, eine Rakete zu bauen für Newtons erlösende Heimkehr. Aber auch ein androgyner Killer mit riesigem Messer schwebt durch die Story – sieht aus wie Bowie/Newton als junger Mann und tötet fast alle Figuren aus der Vergangenheit. Tatsächlich überleben Newton und das Mädchen, heben ab mit der Raumschiff-Kuppel, die von Beginn an Volker Hintermeiers Bühne prägt – das „alter ego“ aber bleibt gebrochen zurück.
Die Story ist absichtsvoll rätselhaft. Walshs Text treibt sie nicht voran, segmentiert sie eher in Episoden, die nur sehr lose miteinander zusammenhängen. Das Musical besitzt sehr wenig „flow“, entfesselt wenig Sog – und zeigt Kraft eigentlich immer nur in den mehr oder weniger kompakten Teilen des Puzzles. Der Fokus liegt auch deshalb immer auf den Songs – wer „Lazarus“ eher als inszeniertes Konzert wahr nimmt, tut der Aufführung kein Unrecht.
Zumal unbedingt unter muskalischen Leitung von Heinz Hox (und trotz Bronchitis!) eindrucksvoll gesungen wird: von Lieke Hoppe als erlösungsfähigem „Girl“ und dem Norweger Hans Petter Melø Dahl als Held, der nicht leben und nicht sterben kann. Den meisten Jubel aber holt sich zweifellos André Kaczmarczyk ab. Newtons mörderisches „alter ego“ setzt als Nachtmahr die gefährlichsten Phantasien frei. Wie Kaczmarczyk gehört auch Rosa Enskat zum Düsseldorfer Ensemble – mit ihrer grandios facettenreichen Stimme ist das Top-Quartett der Stimmen komplett. Drei starke Choristinnen, außerdem Marie Jensen und Stefan Gorski als junges Paar, Thomas Wittmann als Hippie-Freund von früher und Christian Erdmann als verschüchterter Gatte der Assistentin Elly komplettieren das starke Ensemble.
Kostüme (Su Bühler)und Bilder, Video (Stephan Komitsch, Roman Kuskowski) und Choreographie (Bridget Petzold) glänzen und funkeln – in kühler Perfektion gewinnt die Show. Die Story nicht; sie bleibt wirr, gar nicht „typisch Musical“. Insofern war es durchaus mutig, „Lazarus“ und Bowie in Düsseldorf zu beschwören.