Vorlage waren die Protokolle der deutsch-amerikanischen Jüdin Hannah Arendt zum Eichmann-Prozess der 60er Jahre. „Banalität des Bösen“ nannte sie diese Protokolle aus einer Zeit, die ihr eigenes Schicksal vollkommen veränderte und aus der verliebten Philosophiestudentin eine selbstbewusste, politische Theoretikerin machte. Wegen ihrer kritischen Sicht der israelischen Staatsgründung stand Hannah Arendt von jüdischer Seite aus immer im Kreuzfeuer der Kritik. Das Gedächtnis an diese Ausnahmefrau in der Öffentlichkeit zurechtzurücken und gleichzeitig den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu würdigen machte sich der Intendant des Regensburger Theater, Jens Neundorff von Enzberg, zur Aufgabe und konnte dafür die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff und die israelische Bestsellerautorin Savyon Liebknecht gewinnen, die ihr Theaterstück „Die Banalität der Liebe“, 2007 in Bonn uraufgeführt, zum Libretto für die gleichnamige Oper umschrieb.
Savyon Liebknecht erzählt die Liebesgeschichte sehr subjektiv und emotional. Der dramaturgischen Steigerung willen fügt sie die fiktive Figur Rafael Mendelsons als Hannah Jugendfreund ein und dupliziert alle Personen, denn die Oper spielt auf zwei Zeitebenen. Als 69-jährige Dame blickt Hannah Arendt 1975 kurz vor ihrem Tod auf ihr Leben zurück. Sie beobachtet und kommentiert, was die junge macht, verstärkt durch den Chor, der sie gleichzeitig multipliziert und ihr individuelles Schicksal zur Metapher gesellschaftlicher Prozesse in jener Zeit weitet. Der Clou ist, dass es sich nicht um irgendeine Liebe handelt, sondern um die Liebe der 18-jährigen Philosophiestudentin, die sich in den 35 Jahre alten Philosophieprofessor Martin Heidegger verliebt. Sie ist Eros, Muse und lässt sich bereitwillig auf sein Angebot ein, „aus der Menge (zu) entfliehen“, unterwirft sich in romantischer Leidenschaftlichkeit, mehr Objekt seiner Lust als Subjekt einer gegenseitigen Liebe. Erst das Wort „Jud“ aus seinem Mund macht ihr bewusst, dass sie fortan ausgegrenzt ist. Sie emigriert und er verliert sich im nationalsozialistischen Irrsinn und dessen Visionen von deutscher Kultur. Eine halbe Drehung genügt und er verwandelt sich in den alten Heidegger mit grellroten Diktatorengesicht, eine Hitlerduplikation, der Rafael, Hannahs besten Freund, zu Fall bringt. In den 60er Jahren wird weniger Eichmann als Hannah Arendt selbst wegen ihrer Äußerung von der „Banalität des Bösen“ angeklagt. So ist sie zweimal Opfer zwischen zwei Kulturen.
Florian Etti baut dazu einen monumentalen Bühnenkubus auf der Drehbühne, der nahtlos Innen- und Außenräume verbindet, Hörsaal, Krematorium, Gerichtsbarkeit assoziieren lässt. An den Wänden lehnt der Chor Zigaretten rauchend. Die digital projizierten Orts- und Zeitangaben verschwinden im Rauch. Wie eine Zigarette verglüht das Leben. Ein quergelegter Baumstamm genügt für den Zauber der Waldhütte, für die Gratwanderung Hannahs ständig in Gefahr abzustürzen. Später sitzt Hannah im Glaskubus abgeschirmt wie eine Angeklagte, ein einsames Individuum, bedroht von der Wut der Menschen rundherum, weil sie wagt konträre Meinungen zu äußern.
Expressiv symbolisch verknüpft Regisseur Itay Tiran die Spielhandlung zwischen chronologischen Sequenzen und surreal grell beleuchteten Erinnerungen. Wenn der junge Heidegger, von Angelo Pollak radikal wie ein Mephisto gezeichnet, sie vom Blut seiner Adern lecken lässt, beginnt lebenslange Abhängigkeit, nicht nur von ihm, sondern auch vom deutschen Kultur- und Gedankengut. Doch die Abhängigkeit verändert sich. Radelt die junge Hannah anfangs zu Heidegger geflissentlich in die Vorlesung, rennt der alte Heidegger am Schluss seiner der jungen Hannah auf dem Fahrrad außer Atem hinterdrein, eine gelungene Projektion männlichen Jugendwahns. Heidegger entschuldigt sich für seinen Irrtum, die Zeit zurückdrehen kann er nicht.
Ella Milch-Sheriff findet für diese inhaltliche Vielschichtigkeit einen treffsicheren musikalischen Stilmix, der die Personen charakterisiert und die Situationen atmosphärisch emotionalisiert, offensichtlich, zuweilen sehr hintergründig parodiert und im zweiten Teil immer mehr die Unerbittlichkeit des Schreckens hörbar macht. Dass es Stellen gab, die sie selbst „fast unmöglich fand zu machen“ merkt man der Musik nicht an.
Unter dem schwungvoll dynamischen Dirigat von Tom Woods lässt das Philharmonische Orchester Regensburg schon in der Ouvertüre den Schrecken der Zeitenwende zwischen dissonanter Schwere der Streicher und Bläser, den harten Rhythmus der Trommeln und Schlagwerke aufleuchten. Die Studentenschaft findet in deutsch antiquierten Liedgut ihren Ausdruck, dessen Pathos in der völlig unverständlichen Vorlesung Heideggers über das Sein parodistische Momente aufleuchten lässt, noch mehr wenn Student Rafael auf der Mandoline serenadenhaft begleitet und so des Professors Liebesavancen musikalisch torpediert. Lyrische Momente klingen nur kurz als kleine Melodiebögen an, die das Verliebtsein der jungen Hannah immer wieder weich und sanft ins Zentrum rücken, aber schnell zerschnitten werden. Wuchtig wird Hannahs Part in Manier einer Bachkantate in Konfrontation mit Heidegger. In New York klingt mit „America“ aus der „West-Side-Story“ kurz amerikanisch jazziges Lebensgefühl an.
Mit Bravour meistern die Sänger ihre Partituren, allen voran Sara-Maria Saalmann mit ihrem wunderschön kräftigen Sopran. Sie setzt sie Höhentöne auch pianissimo an und formt die großen Tonsprünge klanglich voller Volumen aus. Dazu passt Vera Semieniuks ausdrucksvolle Mezzosopran als Hannah im Alter. Expressiv, skurril überdreht gelingt die Charakterzeichnung Martin Heideggers. Angelo Pollak zeichnet ihn jung als stimmwuchtig arroganten Macho. Adam Krúzel steigert ihn stimmlich und schauspielerisch ins Dämonisch-Schreckliche. Mit Matthias Störmer klangschönen Bariton wird Rafael zum sympathisch aufrechten Deutschen.