konsens-n-klinger-10.jpg

Per Showdown zur Wahrheit?

Nina Raine: Konsens

Theater:Staatstheater Kassel, Premiere:23.01.2018Regie:Eva Lange

Das Stück zur #MeToo-Debattte: Nur wenige Tage nach der Deutschen Erstaufführung am Schauspiel Düsseldorf bringt auch das Staatstheater Kassel Nina Raines „Konsens“ heraus.

Partygeplauder, Gläserklirren. Kitty und Ed haben ein Baby bekommen, nun schauen die Freunde, allesamt erfolgreiche Mittdreißiger, in der neuen Wohnung vorbei. Matt und Ed sind Juristen und finden sich beide bei einem Vergewaltigungsfall auf unterschiedlichen Seiten wieder. Matt als Kläger, Ed als Verteidiger. Wenn Anwälte über ihren Fall reden, darf man nicht zimperlich sein. In der Sprache schon drückt sich dann jene Gewalt aus, die es in dem Fall von Gayle, der mutmaßlich misshandelten Frau aus dem Prekariat, zu verhandeln gibt. In „Konsens“, das jetzt im Kasseler tif zur Premiere kam, doppelt sich vieles auf irritierende Weise.

Anzeige

Ein Stück auf der Höhe der Zeit, besser könnte es nicht terminiert werden. Erst wurde das Sexualstrafrecht refomiert („Nein ist Nein“) , dann schwappte die #MeToo-Debatte nach Deutschland herüber. Sieben Jahre lang schrieb Nina Raine, Oxford-Absolventin und die Großnichte von „Dr. Schiwago“-Autor Boris Pasternak, an ihrem Schauspiel, jetzt war ihr die Aufmerksamkeit der Medien sicher. Das Düsseldorfer Schauspielhaus brachte am Wochenende die deutsche Erstaufführung heraus, drei Tage später folgte Kassel. Theater mit gesellschaftsrelevantem Bezug, zeitpolitisch, kritisch. Das kann man mögen oder auch nicht. Zuweilen wird Theater dann zum Verhandlungsraum von öffentlichen Diskursen. Die Welt ist immer schon da, die hier gespielt wird. Manchmal vermisst man dann den Eigensinn des Theaters.

Im Kasseler tif hat Regisseurin Eva Lange mit ihrer Bühnenbildnerin Sibylle Pfeiffer (auch Kostüme) eine einfache Bühnen-Anordnung gefunden für das zunächst wie eine Konversationskomödie wirkende Stück. Auf einem mittleren Spielplateau finden sich Paare und Freunde bei ihren Gesprächen und Konflikten wieder. Um das Quadrat herum sind Stühle aufgestellt, alle sieben Schauspieler sind bei allen Szenen anwesend. So werden auch sie zu kritischen Beobachtern der Vorgänge. Nina Raines Sprache ist da eine ganz Besondere. Sie spiegelt ganz bitter-bös in den erotischen Paarverwicklungen – die Ehemänner gehen fremd, der Single-Freund ist auf der Suche, eine Schauspieler-Freundin wünscht sich ein Kind – auch die Sprech- und Redeweise der Männer wider. Ihre kühle Anwaltssprache dominiert den Alltag, zuweilen wird die Beziehung wird zum Gerichtsprozess. Alles ist Verstand, nichts Gefühl.

Männer verändern zu wollen, ist Schwerstarbeit. Kitty möchte, dass ihr Mann Ed einmal Empathie zeigt, dass er mitfühlt, auch bei den Opfern vor Gericht. Dass Gayle sich nach dem verlorenen Prozess umbrachte, hat seine Spuren in der Ehe hinterlassen. Doch der Anwalt selbst reagiert mit Zynismus und Kälte, „es geht um Gewinnen oder Verlieren, nicht um Wahrheit oder Unwahrheit“. Als Kitty ihren Mann mit seinem Kollegen betrügt, „damit er mal etwas spürt“, nimmt der Kampf an Fahrt auf, entwickelt er sich zu einem Showdown um Wahrheit und Gerechtigkeit, einem Zweikampf der Geschlechter. Jake, der Anwaltfreund, warnt zwar: „Es gibt eine Welt, in der ihr beide die Wahrheit sagt, sie stimmt nur nicht mit den Gesetzen überein“. Doch da hat die junge Frau ihren Mann schon längst mit ihrem Vorwurf des sexuellen Übergriffs konfrontiert. Plötzlich findet sich Ed selbst in der schwer abzusteckenden Grauzone zwischen verzweifelt-aggressiver Libido und „Vergewaltigung in der Ehe“ wieder.

Wie Thomas Sprekelsen als Anwalt urplötzlich aus der Gewinnerrolle in die des Verlierers katapultiert wird, wie er seine Rhetorikmaschine anwirft und schließlich doch im wahrsten Sinne des Wortes zu Boden geht, wie neben ihm Maria Munkert mit ihrem Ringen um Wahrheit, Menschlichkeit und Gefühl immer auch die Würde im bis an die Grenzen des Erträglichen gehenden Kampf bewahrt, ist eine wunderbar ausbalancierte Schauspiel-Choreographie von Regisseurin Eva Lange. Hier, wo das Dialog-lastige Stück seine Figuren in größte Uneindeutigkeiten hineintreibt und über das Klischee hinausgeht, entwickelt „Konsens“ dann auch seine deutlichste Tiefenschärfe. Die zuweilen überdehnte Länge des Schauspiels ist vergessen. Und der Zuschauer bleibt als Richter zurück. Auf welcher Seite stehen wir?

Stürmischer Applaus des Publikums für das mit hoher Energie aufspielende Ensemble, das Produktionsteam um Regisseurin Eva Lange und die 36jährige Bühnenautorin Nina Raine selbst. Sie war von Düsseldorf aus zur Premiere ihres Stückes nach Kassel gekommen und strahlte glücklich.