Decar, der eigentlich gar kein Fan von Philipp Lahm ist, findet ihn als Mensch sehr interessant, wie er im Programmheft-Interview sagt: „Er ist einfach ein wahnsinnig guter Sportsmann, immer fair und korrekt, immer mit Anstand und Stil, und natürlich auch maximal erfolgreich. Auf der anderen Seite ist er aber auf merkwürdige Art nicht greifbar, glatt, ein Gespenst.“ Und darum geht es nun an diesem Abend: ein Gespenst zu fassen.
Auf der Bühne von Maximilian Lindner ist links Lahms Wohnzimmer aufgebaut, wobei sich der Bühnenbildner genau an die Regieanweisungen, die allesamt mitgesprochen werden, gehalten hat. Mittig findet sich eine Leinwand, rechts zwei Stellwände mit den Flaggen der (Fußball-)Welt. Regisseur Robert Gerloff hält sich präzisest an den Text, projiziert sogar die Szenenangaben auf die Leinwand. Und konterkariert sie dennoch hie und da sanft. Wenn Lahm einen „sehr interessanten“ Arte-Film sieht, ist auf dem Bildschirm nur Schneegestöber zu sehen. Die Inszenierung dient dem Text, ohne sich hinter ihm zu verstecken, sie erweckt ihn zum Leben. Der Abend ist geprägt von einer leisen absurd angehauchten Komik, die verstärkt, was im Text angelegt ist. Wenn Lahm eine Animations-DVD über einen Wiedehopf anschaut, der nach Hause kommt, abspült und bei Immoscout nach Wohnungen sucht, sieht man auf der Leinwand, wie Philipp Lahm – im Vogelkostüm – mit seinem Schnabel auf dem Touchpad tippt.
„Nun folgt eine Szene, in der Philipp Lahm eine Lufthansa-Maschine entführt. Kleiner Scherz.“ Decars Philipp Lahm ist sparsam, vorsichtig, vernünftig und bodenständig, ein bisschen ist er wie die Schweiz, geht wählen, hält sich ansonsten aber raus, bleibt neutral. Wenn es ihm mal nicht gut geht, stellt er sich vor, er wäre nur einer von Milliarden, uninteressant und unbedeutend. Dann ist wieder alles „Oki Doki“. Dieser Lahm, der irgendwie so etwas ist wie der Vorbild-Deutsche, leistet sich keine Extravaganzen, kommt ohne Skandale aus, sagt nein zum Radeln ohne Helm, zu Koksen im Club und Prostituierten, ja zu Arthouse-Filmen auf 3Sat und Arte. „Manche sagen, ich bin so langweilig, dass es weh tut“, sagt Gunther Eckes lächeld. „Na und? Ist doch geil.“
Eckes ist in seiner unaufdringlichen Art sehr komisch, wenn er zu den Beatles „Ich bin für die EU“ singt oder zu einem „verdammt guten Popsong“ von Madonna unter der imaginären Dusche tanzt. Was hier vorgeführt wird, ist die personifizierte Harmonie. Dieser Lahm, er hadert nicht damit, dass die Traumfrau möglicherweise irgendwo anders alleine ihren Kirschsaft trinkt, während er ihr nicht begegnet, sondern sieht in der Frau im Wintergarten die Traumfrau. Punkt. Die Frage, die über dem Abend liegt, ist folgende: Ist es schlimm, normal zu sein? Unbekümmert zu sein? „Soft und glücklich“ in Germany?
Der Theater-Lahm ist immer entspannt – zu entspannt vielleicht? Während im Hintergrund ein Bagger sein Wohnzimmer einreißt, trinkt er seinen Cappuccino. Ganz gechillt. Ein Rückzug ins Private. Die Welt und ihre Konflikte, die können draußen bleiben. Das ist nicht die Banalität des Bösen, das ist die Banalität des Netten. So wie Philipp Lahm ist auch dieser Abend: unkompliziert und sympathisch. Ein bisschen wie das Dinosaurier-Puzzle, das Lahm einmal legt: All die Miniatur-Szenen setzen sich zu einem Bild zusammen. Einem Bild einer viel beachteten Spezies, die einem dennoch seltsam fremd bleibt.