Auch mit anderen Entscheidungen allerdings tut sich Weimar eher schwer. Ausführlich, fast den ganzen ersten (und merklich länglichen) Teil hindurch, bleibt die Verdichtung für die Bühne auf den Oberflächen-Plot konzentriert: den Streit um Windräder, die ökologisch korrekt sein mögen, ansonsten aber vor allem stören – den freien Blick bis zum Horizont, einen seltenen und sorgsam geschützten Vogel sowie vor allem den Waffenstillstand zwischen den seit der Wende unversöhnten Fraktionen im Dorf. Die Strom-Mühlen sind ja nur Auslöser, Katalysatoren für den neuen Blick auf die alten Leichen im Keller. Idyllisch jedenfalls ist nichts unter Leuten wie diesen; der zweite Teil in Weimar gibt sich immerhin redlich Mühe, noch die entlegeneren Winkel von Schmutz und Schrecken auszuleuchten – was spürbar auf Kosten der Stringenz von Handlung und Dynamik geht.
Immerhin kommt im wachsenden Inferno der scheiternden Dörfler ein zugereister Wessi im Auto zu Tode, ein weiterer zugereister und bis dato friedlicher Vogelschützer schlägt den nervenden Ost-Nachtbarn halb tot; Gombrowski, der reichste Mann im Ort, Strippenzieher, Wendegewinnler und ewiger Gegenspieler des Alt-Linken Kron, öffnet sich die Adern in den Tiefen der örtlichen Wasserversorgung (denn das Dorf soll von nun an sein Blut trinken!), die Gattin flieht, die alte Freundin, allein mit zwanzig Katzen, endet in der Klappse.
Die Schollen sind umgegraben am Schluss, und die Windräder sind da; ganz anders aber als zunächst geplant. Gewonnen hat niemand; außer vielleicht Krönchen, die irgendwann gut erben wird – das Panorama der Zerstörung birgt Zukunft (wie sie auf den Bannern beschworen wird, die zu Beginn im Rund der kreisenden Bühne stehen) erst für die Generationen danach. Auch darum erzählt die Jüngste – von Dingen, die sie kaum je selbst erlebt hat.
Redlich und gediegen geht Jenke Nordalm in Weimar zu Werke; zu redlich, zu gediegen. Schon der Roman neigt ja zur Breite, trotz der vielen Perspektiven. Womöglich wäre für die Bühne auch mehr eigene Autorenschaft hilfreich – in Weimar jedenfalls klingt der Text über weite Strecken stark nach Papier, die Rollenprosa arbeitet eher Themen und Ereignisse ab als lebendig zu werden fürs vielköpfige Ensemble. Und auch wenn gleich zu Beginn ein fundamentales Gewitter losbricht (das eine wichtige Rolle spielt für die verborgenen Dramen in „Unterleuten“), donnert, blitzt und funkelt das Weimarer Spiel in der Folge viel zu selten. Das liegt auch am Ensemble, das vielleicht noch nicht die Freiheit gewonnen hat, den Schrecken schrecklich und das Ungesagte unerträglich werden zu lassen. Trotz allem Kleinkrieg der Bürger tobt in Unterleuten eben doch keine Schlacht.
Bonns Schauspiel unternimmt den nächsten Versuch; Juli Zeh stammt von dort, und als Regisseur zeichnet mit Jan Neumann einer verantwortlich, der auch selber Autor ist. Das könnte nützen. Im neuen Jahr dann kommt die Dorfgeschichte dort an, wo sie her kommt und also hin gehört: in Brandenburg und dessen Hauptstadt Potsdam.