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Eine Stadt verkauft sich selbst

Ulf Schmidt: Bonnopoly

Theater:Theater Bonn, Premiere:09.09.2017 (UA)Regie:Volker Lösch

Ulf Schmidt und Volker Lösch gelingt eine brillante Realsatire auf provinziellen Größenwahn in Deutschlands einstiger Hauptstadt.

Ein Lokal von scheußlicher, holzvertäfelter Gemütlichkeit. Die Menschen, die hier beieinander sitzen, wirken in ihrer Biederkeit wie Karikaturen. Sie reden von ihrer Stadt, ihrem Bonn, wie es jetzt ist, wie es war und wie es sein soll. Die Erinnerung an die Entscheidung im Bundestag für Berlin als Hauptstadt, die mit 16 Stimmen Vorsprung gegen Bonn gefallen ist, schmerzt noch immer. Man trauert der Zeit nach, als in Bonn ganz selbstverständlich Politiker aus aller Herren Länder zu Gast waren und Strauß rein und raus ging. Der Verlustschmerz trifft auf Politikerparolen: Durch Deutschland müsse ein Ruck gehen. Und für Bonn brauche es natürlich etwas ganz großes Neues, aber ohne „Regulierungswut“. Und dann stehen sie da: der Ruckherzog, der Bürgermeister, die Sparkassenfrau, der Bürokrat und die Bürokratin, der Berater und die Bürgermeisterin, aber auch der Investor. Und drehen am großen Ding: das WCCB, das World Conference Center Bonn soll gebaut werden. Das Motto lautet: Profitieren ohne zu investieren.

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Was nun passiert, entzieht sich allen Regeln vernünftiger und verantwortlicher Baupolitik. Eine zur Premiere erschienene 50-seitige Broschüre schildert das teils dilettantische, oft aber kriminelle Vorgehen der Handelnden, die Zusammenarbeit mit einem  Investor ohne Eigenkapital, die Unfähigkeit der Politiker, die Baukostenexplosionen und die Insolvenzen der Bau-GmbHs. Das WCCB sollte die Stadt Bonn angeblich nichts kosten. Doch es wird die Stadt  in den nächsten Jahrzehnten rund 300 Millionen Euro kosten.

Eigentlich entzieht sich all das fast mit seiner Faktenfülle einer sinnlichen theatralen Darstellbarkeit. Doch Regisseur Volker Lösch gelingt es, den Chor der Handelnden sowohl als dynamische Gruppe wie als engagierte Einzelne so erzählen zu lassen, dass der dreistündige Abend mit seiner Faktenvermittlung nie trocken oder lehrhaft, sondern gleichermaßen witzig wie souverän und informativ wirkt. Das ist politisches Theater voll sinnlicher Kraft. So ist auch das Publikum engagiert dabei und geizt nicht mit Zwischenapplaus.  Durch das Gegeneinander eines Schönredners und der wütenden Gruppe wird die Faktenvermittlung dynamisiert, wie auch dadurch, dass die Darsteller in ein Goldbad springen – das heußt: Sie werfen sich in eine bühnengroße Wanne voller goldiger Pampe. Dann wieder treten die einzelnen Protagonisten einzeln vor das mitgehende Publikum und erklären oder rechtfertigen sich. Wobei die Sparkasse, die unentwegt zu „äußerster Vorsicht“ bei den Transaktionen mahnt, mit dem bösen Running Wag: „Schnauze“ abgefertigt wird.

Kein Ruck, sondern ein Sparschwein müsse durch Bonn, die Schuldenhauptstadt Deutschlands, gehen, heißt es schließlich. Und dann wird aufgezählt, wo überall gespart werden soll, um Zinsen zu bezahlen: Bei sozialen Einrichtungen wie Bibliotheken, Senioren-Begegnungsstellen,  kleinen Theatern, Schwimmbädern und…Hundekotbeuteln.

Nach der Pause der dreistündigen Aufführung kommen die Bürger Bonns selbst zu Wort. Da wird Theater vor allem zum Informationsmedium. Zunächst erzählt eine alte Frau, wie sie versucht, sich gegen existenzbedrohende Mieterhöhungen zu wehren. Dann wird, mit Erklärungen von Fachleuten in Videoeinspielungen, gegen den Irrtum argumentiert, Public Private Partnerships seien für die Stadt von Vorteil. Wenn die Stadt ihre städtischen Wohnungen an private Investoren verkauft, um Schulden abzubauen, benehme sie sich wie ein Unternehmen. Das sei aber nicht ihre Aufgabe und statt Besitz zu verkaufen, sollte sie mit öffentlichen Ausgaben dem Wachstum helfen. Außerdem seien PPP´s langfristig ungünstig für die Stadt.

Das lebendige Schlussbild dieses Abends ist überwältigend. Da steht eine bunte, riesige Menschenmenge und füllt die Bühne bis in die Tiefe völlig aus. „Was wir wollen“, ist ihr Credo. Und so fordern sie im Chor nicht nur bezahlbare Sozialwohnungen, sondern auch viele kleine Dinge, die für sie Bonn lebenswerter machen. Wenn sie am Schluss ganz nach vorn an die Rampe vorrücken und „Bonn gehört uns“ rufen, dann ist das ein beeindruckender Schlusssatz eines engagierten und klugen Theaterabends.