Foto: Szene aus den neuen Bayreuther "Meistersingern" © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Text:Joachim Lange, am 26. Juli 2017
Barrie Kosky inszeniert als erster jüdischer Regisseur auf dem grünen Hügel. Und dann noch die „Meisersinger“.
Seit Tagen hängen dunkle Wolken über dem Grünen Hügel. Aber nicht die metaphorischen, mit denen man an diesem besonderen Ort fürs deutsche Kulturselbstverständnis immer mal wieder rechnen darf. In Bayreuth beschreibt das diesmal nur das ausgewachsene (Mist-)Wetter.
2017, im Jahr in dem Wieland Wagner 100 geworden wäre gab es einen Festakt am Vorabend der traditionellen Festspieleröffnung mit der Premiere der Neuproduktion am 25. Juli. Bei diesem Festakt traute man seinen Ohren nicht. Nicht nur, dass Musik aus Alban Bergs „Wozzeck“ und Verdis „Otello“ auf die „Rienzi“-Ouvertüre folgte, die nach dem Willen ihres Schöpfers ja nichts im Festspielhaus zu suchen hat. Festspielchefin Katharina Wagner eröffnet ihre Begrüßung der Gäste im voll besetzten Haus mit den Worten „Liebe Nike…“ und wies darauf hin, in welch großem familiären Einvernehmen dieser Festakt für den vor 100 Jahren geborenen Wieland Wagner zustande gekommen ist. Der war als Teenager ein Protegé des braunen Oberwagnerianers Hitler und setzte dann nach dem Krieg als Festspielchef (gemeinsam mit seinem Bruder Wolfgang) konsequent auf ästhetische Erneuerung. Ein demonstratives Einvernehmen, das bei dieser Familie mehr als erstaunlich ist und noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre.
Hartmut Haenchen dirigierte das Festspielorchester mal nicht im verdeckten Graben, sondern auf der Bühne und krönte den Abend mit Vorspiel und Verwandlungsmusik aus dem für dieses Haus maßgeschneiderten „Parsifal“. Claudia Mahnke sang die Marie, Camilla Nylund, Christa Mayer und Stephen Gould Desdemona, Emilia und Otello.
Der eigentliche Star war aber Festredner Sir Peter Jonas. Als Brite, ehemaliger Münchner Staatsopernintendant und bekennender Wagnerianer eine treffliche Wahl! Sehr persönlich, mit britischem Humor (und einem so überschwänglichen Lob für die gegenwärtige Rolle Deutschlands in Europa, dass das Publikum nicht zu applaudieren wagte) würdigte er den Künstler Wieland Wagner, ohne die tragische Verwicklung des Menschen in die Geschichte seiner Familie und Deutschlands zu unterschlagen. Er sprach von den Folgen, die es hat, wenn Hitler der „Onkel Wolf“ für einen Heranwachsenden ist, von einer willigen, aber naiven Verführung durch den Nationalsozialismus, einem schockierend radikalen Opportunismus und einer rätselhaften, aber erlösenden Erleuchtung als Teil einer ödipalen Tragödie. Er billigte ihm Schockwellen in seiner Psyche zu, die seine Versetzung auf einen „offensichtlichen Ruheposten“ in ein Bayreuther Außenlager des KZ Flossenbrüg bei ihm ausgelöst haben müssen. Wieland sprach darüber nie. „Scham macht stumm!“ – auf die Formel hat Wielands Tochter Nike das gebracht. Für Jonas ist die Lehre für die Gegenwart, genau das nicht zu tun.
Was ihn am Künstler begeisterte, sei sein visueller Belcanto. „Wieland Wagner hat sich selbst befreit, um zu lieben, um zu leben, und um ein Werk zu schaffen, das dabei die europäische Theaterlandschaft für immer verändert hat. Er hat das kathartische Ziel des Musiktheaters in seiner reinsten Form erreicht: die Seele nicht nur zu suchen, sondern sie zu berühren. Wir schulden es seinem Vermächtnis: unsere Vergangenheit nicht mehr und nie wieder unter den Teppich zu kehren und nie wieder zu schweigen.“ so der Festredner.
Auf der Pressekonferenz davor noch ein paar Personalien, wie die, dass Anna Netrebko nun doch nicht die Elsa singen wird (sondern Anja Harteros mit Roberto Alagna in der Titelrolle). Dass Placido Domingo drei separat im Programm verbleibende Walküren-Vorstellungen (mit Matthias Goerne als Wotan) dirigieren wird. Dass die neu etablierte „Diskurs Bayreuth“-Reihe weitergeführt, und im dann wiedereröffnete Markgräflichen Opernhaus während der Festspiele eine zeitgenössische Oper (ur-)aufgeführt werden soll.
Hier gilt’s der Kunst…..
Dass bei der „Meistersinger“-Premiere als Höhepunkt der Prügelszene eine riesige Judenkarrikatur wie aus dem Nazihetzblatt Stürmer als ein Popanz aufgeblasen wird, und sich im dritten Aufzug die ganze Nürnberger Bürgerschaft trotz ihres üppigen Dürerlooks in dem Schwurgerichtssaal wiederfindet, in dem die Nürnberger Prozesse gegen die Obernazis stattfanden, klingt provozierender als es im szenischen Kontext der Inszenierung tatsächlich war. Nicht nur, weil man dem gerne auf seine jüdische Herkunft verweisenden Regisseur den exzessiven Umgang mit solchen Bildern eher zubilligt als anderen. In diesem Saal hält dann auch Hans Sachs (als Richard Wagner) seine berühmte Ansprache zur deutschen Kunst, die man ja ohne Mühe missverstehen kann, deren Kernsätze, aber so oder so, einen historischen Kontext haben. Sachs redet eindringlich im Zeugenstand und ganz allein. Direkt an uns gerichtet. Er ist bei Barrie Kosky zu guter Letzt nicht Zeuge der Anklage, sondern einer der Verteidigung. Der meint, was er sagt positiv in die Zukunft und nicht gegen jemanden anders gerichtet. Er dirigiert gegen die „üblen Streich’, die uns dräuen“ mit einem Orchester und Chor (mit seiner Musik versteht sich) an, die kurzzeitig unter der gelüfteten Rückwand herein- und wieder hinausfahren. Das ist bei Kosky dann auch schon die Moral von der Geschichte.
Das Problem des drangsalierten Beckmesser hatten seine Kollegen nach dessen missglücktem Preislied vorher durch Saalverweis kurzerhand aus der Welt geschafft. Damit wird auch die Frage, was der für eine Rolle in der utopischen Kunst-Gesellschaft spielen könnte und soll, nicht beantwortet. Da war das Vorspiel und der grandiose erste Akt schon weiter.
Der beginnt nämlich in der Villa Wahnfried, heftet sich an die Komödie und bleibt ihr auf den Fersen. Wagner, Cosima, ihr Papa Franz Liszt und der jüdische Dirigent Hermann Levi haben ihren Auftritt. Wagner freut sich über neue Stoffe und Parfümlieferungen, das Cosima-Gemälde und über die Alter Egos, die dem Klavier entsteigen, auf das Wagner und Liszt mit Konkurrenteneifer eindreschen. So ungefähr könnte es zugegangen sein, wenn der Meister ein neues Werk im engsten Kreis vorgestellt hat. Samt Versuch, den jüdischen Hausgast Levi wie einen Christen beim Gebet auf die Knie zu zwingen. Wagner als selbstverliebtes Genie-Ekel – das ist großartig! Ganz selbstverständlichen übernimmt das biographische Personal die Rollen des Stücks, das sich dann auf der Bühne in all seiner Historienpracht entfaltet. Wagner selbst den Sachs, aber auch Stolzing sieht ihm am Anfang zum Verwechseln ähnlich, Cosima die Eva, Levi den Beckmesser und Liszt den Pogner. Und Wagner bleibt dabei noch der Regisseur von alldem, was da gespielt wird. Klaus Bruns liefert mit seinen Kostümen die ultimative Augenkur für alle, die der Second-hand-Klamotten auf der Bühne überdrüssig sind. Am Ende des ersten Aktes fährt dieser Bühnenraum (von Rebecca Ringst) komplett nach hinten und wir werden zwischen den Wänden des Gerichtssaals in die Pause entlassen…
Was Kosky liefert, ist eine detailverliebt ausgearbeitete Komödie der Beziehungen, Lebensträume, Gefährdungen von Menschen, die ein großartiges Protagonisten-Ensemble bis an die Grenze des musikalisch noch Möglichen ausspielt. Erst bei Wagner daheim, dann auf einer atmosphärisch grünen Wiese (erinnert an das Grün in seiner Eugen Onegin Inszenierung an der Komischen Oper) zwischen den Gerichtssaalwänden, schließlich vor den Fahnen der Siegermächte und unter den Augen eines stummen GI’s. Was, wie Beckmessers aufgestülpte Judenmaske in der Johannisnacht, nicht wirklich entwickelt ist, sondern lediglich Assoziationen im Auge des Betrachters hervorrufen soll. Vor allem das liefert den Diskussionsstoff zur Komödie.
Philippe Jordan sorgt im Graben vor allem für komödienhafte Leichtigkeit, liefert aber auch jede Generalpause, die der Spannung dient und lässt diverse kleine Ausbrüche und gestalterische Eigenwilligkeiten zu. Schlichtweg grandios sind der Sachs von Michael Volle und Johannes Martin Kränzles Beckmesser. Ganz bei sich und seiner Rolle: Klaus Florian Vogt als Stolzing. Wunderbar Daniel Behle als David und Wiebke Lehmkuhl als Magdalene. Die Meister unter Führung vom Pogner mit der Liszt-Frisur Günter Groissböck ohne Schwachstelle. Die Buhs für Anne Schwanewilms Bemühung um Eva waren unfair, auch wenn sie mehr ihre Cosima- als die Jungmädchenrolle beglaubigte. Ein alles in allem, zwar nicht bilderstürmerischer, aber gelungen anregender und bejubelter Festspielauftakt.