Foto: Verführerische Elementarkräfte oder Opfer einer dominanten Männergesellschaft?. Die Rheintöchter (Ramona Zaharia, Maria Kataeva, Anke Krabbe (v.l.)) © Hans-Jörg Michel
Text:Andreas Falentin, am 24. Juni 2017
Nun „Ringen“ sie wieder. Nach einem kurzen Innehalten nach dem Wagner-Jahr 2013 schießen die Zyklen nahezu wie Pilze aus dem Boden, von Karlsruhe bis Chemnitz, von Budapest bis Oldenburg. Die Faszination von Wagners mythischem Monsterepos scheint ungebrochen. Warum eigentlich?
Genau diese Frage scheint Dietrich W. Hilsdorf zum Einstieg in sein „Rheingold“ in Düsseldorf zu stellen. Loge kommt auf die Bühne und spricht: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten? Was – soll – es – bedeuten? Es…“ Und dann beginnt die Musik, bekanntermaßen mit dem gleichnamigen Ton in tiefster Lage. Was soll das sein? Ein Witz für die Eingeweihten? Mutmaßlich steckt mehr dahinter. Immer, wenn von ‚Walhall‘ die Rede ist, werden die Sänger in den Zuschauerraum schauen und dort wird das Licht angehen. Das Theater als letzte Heimstatt von was auch immer? Der „Ring“ als selbstreferentielles Exerzitium, das heute nur über Wissen von und sich Reiben an der Aufführungstradition zu verstehen und zu vermitteln ist? Also ein Welttheater des Absurden? Hierzu passt Wotans erster Auftritt. Im Rollstuhl mit bedecktem Gesicht und Sonnenbrille wird er von Fricka hereingefahren. Das scheint genauso augenzwinkernd „Vorsicht, Regietheater!“ zu rufen, wie es aktiv Becketts „Endspiel“ in den ästhetischen Zeugenstand ruft.
Derartige Fährten oder Spurengruppen legt Hilsdorf viele an diesem Abend. So verbindet er etwa immer wieder Loge und die Rheintöchter, die – vielleicht – einerseits die (Verführungs-)Kraft des Elementaren exponieren sollen, andererseits aber auch Figuren repräsentieren, denen Selbstbestimmung über alles geht. Die extrem gut, vor allem überraschend kraftvoll gesungenen Rheintöchter scheinen hier junge Frauen zu sein, die sich nicht in eine Männerwelt einordnen wollten, welche sie buchstäblich ins Wasser getrieben hat. Dann spielen Marx und Zola eine Rolle, das dominant werdende Bürgertum, die Veränderung der Arbeitsprozesse im 19. Jahrhundert. Dazu kommt, etwa in den hübschen Lösungen für Alberichs Verwandlungen oder den augenzwinkernden Verkleinerungen von Gewitter und Regenbogenbrücke, die pure Lust am Theaterspiel. Und zwischendrin setzt sich Hilsdorf ganz brav ins Konventionelle, Hausbackene. Da ist der Tarnhelm dann eine goldenes Tuch wie gehabt, wird hübsch und maßvoll mit Speer, Hammer und (bereits so früh!) Schwert herumgefuchtelt, sitzt der Ring brav an Alberichs Finger und wird samt Hand abgetrennt. All das kommt leicht daher, mit schönem, manchmal, wie beim sich Hineinzwängen in die ‚Schwefelkluft‘, auch leicht übertriebenem Witz, und der von Hilsdorf gewohnten exakten Personenführung. Dieter Richter hat einen seiner großbürgerlich-trutzigen, den Gesang stets akustisch befördernden Einheitsräume gebaut, Renate Schmitzer wieder einmal ein Arsenal stimmiger, angenehm zu betrachtender und vielleicht eine Spur pauschal gedachter Kostüme entworfen. So fließen zweieinhalb Stunden angenehm und überaus kurzweilig vorbei. Etliches erscheint auch am Ende noch rätselhaft, aber es bleiben ja fast zwölf Stunden Musik, um Lösungen anzubieten.
Musikalisch überzeugt der Abend vor allem auf der Bühne. Abgesehen von Norbert Ernst, dem für den Loge eindeutig Stimmkraft und -fundament fehlen und der zu hellen, arg vibrierenden Erda von Susan Maclean, ist ein auf sehr hohem Niveau homogenes Ensemble zu hören. Simon Neal und Michael Kraus beeindrucken als Wotan und Alberich nicht nur durch Stimmkraft, sondern auch und vor allem durch subtile Wortbehandlung und sicheres, freies Timing im Spiel. Herausragend die Riesen: Mit großem Charme und fast unerhört schönem Bass gibt Bogdan Talos den Fasolt neben dem geradezu besessen abgeklärten Fafner von Thorsten Grümbel. Nicht ganz so viel Freude bereiten die Düsseldorfer Symphoniker. Zwar aalen sie sich kundig und lustvoll im Konversationston besonders der zweiten Szene, aber bereits das Vorspiel gerät stellenweise schwammig. Hier und in der Rheintöchter-Szene bekommen die Musikers Wagners berühmt differenzierte und differenzierende, ewig lange dynamische Steigerungen allenfalls ansatzweise hin. Wunderbar gelingen die ‚schmutzigen‘ Passagen in Nibelheim, zu Alberichs Fluch fehlt es an Urgewalt und auch der Schluss klingt ein wenig brav, mit merkwürdig isoliert zirpenden Harfentönen. Möglicherweise haben diese akustischen Beobachtungen allerdings mit dem musikdramatischen Konzept von GMD Axel Kober zu tun. Er sucht im „Rheingold“ offensichtlich das Collagenhafte, sozusagen Prä-Postmoderne, möchte mit dem Orchesterklang nicht differenziert erzählen und so dem Zuschauer den berühmten Vorsprung vor den Figuren verschaffen, sondern atmosphärisch grundieren und kommentieren. Auch darauf, wie sich dieses Konzept in der klassisch – und homogen! – tragischen „Walküre“ wieder finden wird, darf man gespannt sein.