„Zaïde“ ist ein Vorläuferwerk zu Mozarts nur zwei Jahre später in Wien entstandener „Entführung aus dem Serail“ mit überdeutlichen Handlungsparallelen. Hier wie dort gerät ein europäisches Liebespaar (Zaïde und Gomatz) in die Gefangenschaft eines orientalischen Sultans (Soliman), hier wie dort löst das auch einen Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen aus. Zwar gibt es Spekulationen, dass Mozart für „Zaïde“ ein tragisches Ende plante. Aber bei Begutachtung der Partitur, der Textvorlage und der Gattungskonvention ist das wenig glaubwürdig. Die scheinbar ausweglosen, in einem Quartett spannungsvoll ausgebreiteten Konflikte, mit denen das Fragment abbricht, verlangen dramaturgisch nahezu zwingend den Umschwung zum „überraschenden“ glücklichen Ende – welcher Deus ex musica auch immer dafür hätte sorgen müssen. Czernowin setzt Mozarts harmonischer Welt den dissonanten Geräuschkosmos ihrer Musik entgegen, der vom spröden Hauch bis zum disparat gewitternden Schlagwerk ein knisterndes Spannungsfeld krasser Extreme erzeugt. Die harmlose Exotik des Serails kontrapunktiert sie pointiert gegenwartsbezogen mit einer ahnungsweise angedeuteten Liebensgeschichte zwischen einem Palästinenser und einer Israelin, die an der Unversöhnlichkeit der Väter scheitert und in die Katastrophe einer Steinigung der „Verräterin“ mündet. Schon der Titel „Adama“, ein hebräisches Wort, in dem die Begriffe „Mensch“, „Blut“ und „Erde“ anklingen, vereint in sich die Motivationskomplexe, die hinter diesen Konflikten stecken. Wobei die teils arabischen und teils hebräischen, überwiegend deutschen Textfragmente aber auch immer wieder, ähnlich wie auch die Musik, einzelne Worte und Motive aus „Zaïde“ variieren.
Das weitgehend Unangetastete von Mozarts Musik hatte allerdings zur Folge, dass in den bisherigen Aufführungen von „Zaïde/Adama“ die Dramaturgie der „Zaïde“-Handlung allzu dominant blieb. Vordergründig blieb zu viel beim Alten, hintergründig sorgte Czernowins faszinierend auratische Musik dafür, dass man ans Alte trotzdem nicht mehr glaubte. Das erzeugte eine gewisse Unentschiedenheit. Nun aber hat Czernowin, angeregt durch den Regisseur Ludger Engels, für eine neue Produktion am Theater Freiburg „Zaïde/Adama“ genau unter diesem Aspekt noch einmal grundlegend überarbeitet und um einen Chorpart erweitert, der Mozarts Musik geradezu zersetzt: Musikalisch destruieren die Dissonanzen Mozarts Dur-Moll-Zuversicht substantiell. Und semantisch treten an die Stelle der despotischen Vaterfiguren die Kollektive gegensätzlicher Zivilisationen. Dadurch erfährt „Zaïde/Adama“ eine nachhaltige politische Aufladung. Huntingtons Clash of civilizations ist mit Händen zu greifen. Und Mozarts Musik wird zur Folie für eine illusionslose Bestandsaufnahme einer gescheiterten humanen Hoffnung. In Freiburg ist „Zaïde/Adama“ zu erleben als tiefpessimistische Bestandsaufnahme unserer Gegenwart des religiös motivierten Terrors infolge kolonialistischer Überheblichkeit und postkolonialistischer Verantwortungslosigkeit – dies aber nicht als politische „Erzählung“, sondern vollkommen eingeschmolzen in eine ausweglos disparate musikalische Struktur.
Und genau deshalb ist es in Freiburg mehr als nur ein effektvoller Coup, wenn Regisseur Ludger Engels und sein Ausstatter Ric Schachtebeck jede Erzähldramaturgie verweigern und stattdessen buchstäblich das komplette Freiburger Opernhaus in eine raumgreifende, von performativen Aktionen der Protagonisten und des Chores belebte musikalische Installation verwandeln. Die Zuschauer sitzen auf den Hinter- und Seitenbühnen sowie auf den Rängen des Auditoriums. In dessen Parkett, also im „alten“ Theatersaal, hat das „alte“ „Zaïde“-Orchester seinen Ort, dem „Adama“-Orchester ist eine Versenkung in der Bühnenmitte vorbehalten. Die Sänger agieren um dieses Orchester herum, deuten Handlungsfragmente an (etwa die Steinigung), Textprojektionen bilden die assoziativen Bezüge ab, mit denen sich die „Adama“-Textsplitter auf das „Zaïde“-Libretto beziehen. Der Chor exponiert sich als Störfaktur in Mozarts Musik, unterminiert diese durch Murmel- und Tuschel-, Zisch- und Geräuschattacken – zum blanken Entsetzen einiger Zuschauer, die verstört oder empört das Weite suchten. Das ganze Theaterhaus wird zu einem faszinierend offenen Ereignis- und Gedankenraum, der die Zuschauer einlädt, das Erlebte mit eigenen Assoziationen aufzuladen. Das einzige, was dabei stört, sind einige dann doch arg plakative Kommentare aus dem Geist des selbstgerechten Volksempfindens, mit denen der Chor das abtrünnige Liebespaar bedenkt („Schande!“, „Pfui“, „Die beiden sollte man einfach rausschmeißen“).
Czernowins Musik übernimmt in dieser neuen Fassung klar die Führungsrolle – und wird von den Protagonisten (Frau: Annette Schönmüller; Mann: Robin Adams; Vater: Patrick Ruyters) sowie vom „Adama“-Orchester unter der Leitung von Daniel Carter und dem von Bernhard Moncado geleiteten Chor suggestiv vorgetragen. Das von Johannes Knapp souverän geleitete „Zaïde“-Ensemble klingt wie eine Reminiszenz aus ferner Zeit. Diese Reminiszenz wäre allerdings wesentlich stärker gewesen, wenn Laure Meloy als Zaïde und Christoph Waltle als Gomatz ihre Mozart-Partien wirklich erstklassig gesungen hätten. Laure Meloys waberndes Vibrato nahm ihrem eigentlich sehr schön timbrierten Sopran den Fokus, Christoph Waltles Tenor fehlte es an Flexibilität, Delikatesse und entspannter Tragkraft, wie man sie für Mozart nun mal braucht. Und Alejandro Lárraga Schleskes Alazim wirkte ebenso unartikuliert wie Jin Seok Lees Osmin, nur Roberto Gionfriddo gelang ein halbwegs idiomatischer Soliman. Das war schade. Denn damit das zerstörerische Moment, das Czernowin ihrer Geräuschmusik so gezielt einschreibt, auch wirklich trifft, muss das Heile als dessen vergänglicher Gegenpol stark spürbar bleiben. Das war hier leider nicht der Fall.
Trotzdem: Ein eindrucksvoller Abend, den die Zuschauer (abzüglich der vorzeitig Ausgestiegenen) begeistert feierten.
(Weitere Termine: 22. / 24. / 29. Juni, 1. Juli)