Foto: Die Kompagnie Eastman und Rolf Romei als Titelheld in Sidi Larbi Cherkaouis Inszenierung von Philipp Glass‘ Oper „Satyagraha“. © Sandra Then
Text:Georg Rudiger, am 29. April 2017
Mit seiner Inszenierung von Philip Glass‘ Oper „Satyagraha“ gelingt es dem Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui am Theater Basel, den Endlosschleifen der Minimal Music eine faszinierende Spannung zu geben.
Die große Zeit der Minimal Music ist vorbei. In den 80er Jahren wurde Philip Glass‘ Opernerstling „Einstein on the beach“ auf europäischen Bühnen rauf und runter gespielt als tonaler Kontrapunkt zur atonalen Musik der herrschenden Avantgarde. Im heutigen „Anything goes“ haben die endlosen Wohlfühlharmonien ihren subversiven Charakter verloren. Sie betten weich, statt sich mit Penetranz in die Gehörgänge zu bohren. Sie entwickeln kaum Sogwirkung, sondern drehen sich im Kreis. Das ist zu erleben bei der Schweizer Erstaufführung von Philip Glass‘ zweiter Oper „Satyagraha“ (1980) am Theater Basel, die sich mit den frühen Jahren Mahatma Gandhis in Südafrika und seiner dort entstanden Philosophie des gewaltfreien Widerstands beschäftigt.
Die Musik wird aus einfachsten Dreiklängen und Tonskalen gebildet, die selten variiert werden. Darüber schweben die oft parallel geführten Gesangslinien der Sänger in kitschiger Harmonie. Modulation impossible! Dabei ist die musikalische Interpretation auf sehr hohem Niveau. Man spürt in jedem Takt die große Vertrautheit des Sinfonieorchesters Basel mit dieser Musik. Der frühere Chefdirigent Dennis Russell Davies hat in den letzten Jahren einige Werke seines Freundes Philip Glass mit dem Orchester erarbeitet. Auch der heutige musikalische Leiter Jonathan Stockhammer besitzt großes Gespür für diese Musik, die immer im Fluss bleibt und einen steten Puls braucht. Die Streicher und Holzbläser (Blech und Schlagzeug sind nicht besetzt) spielen die Patterns mit bewundernswerter Genauigkeit und lassen in ihrer Intensität selbst bei der hundertsten Wiederholung nicht nach. Und wenn einmal die Repetitionen des Chores wie im zweiten Akt nicht genau zum Puls des Orchesters passen, dann hat Stockhammer schon nach wenigen Takten die Lage wieder im Griff.
Trotz der hohen Qualität der Interpretation ist es nicht die Musik, die den umjubelten, dreieinhalbstündigen Abend zusammenhält. Spannung entsteht durch die 11 Tänzerinnen und Tänzer der Antwerpener Eastman-Kompanie, die mit größter Hingabe und Musikalität agieren und aus dem gleichförmigen Beat größte Expressivität entwickeln. Neben der Komischen Oper Berlin ist die Vlaamse Opera Antwerpen als Koproduzent dabei. Ihr Ballettchef Sidi Larbi Cherkaoui hat bei „Satyagraha“ Inszenierung und Choreographie übernommen. Die Stationen aus Mahatma Gandhis Jahren in Südafrika (1893-1914) werden getanzt. Besonders die Gewaltszenen gelingen eindrucksvoll, wenn Gandhi, von Beginn an traditionell gekleidet (Kostüme: Jan-Jan Van Essche), von der Menge gepackt, geschlagen und um die eigene Achse gedreht wird. Rolf Romei ist mit seinem warmen Tenor nicht nur ein würdiger, asketischer Widerstandskämpfer, sondern wird auch physisch ganz in die komplexe Choreographie eingebunden. Auch der agile, wache Chor (Einstudierung: Henry Polus) und das ausgezeichnete Solistenensemble werden vom Choreographen in dieses anspruchsvolle, sinnliche Bewegungstheater auf ganz natürliche Weise integriert. Den Flow gewinnt der Belgier dabei direkt aus der Musik von Philip Glass, wenn sich einzelne in Trance tanzen oder einer die steile Rampe mit schnellen Schritten erklimmt und dann doch wieder in immer neuen Bewegungsvariationen hinabstürzt.
Die abstrakte Bühne von Henrik Ahr besteht aus einem vom Stahlseilen gehaltenen Boden, der im Laufe des Abends in verschiedene Positionen gezogen wird. Eindrucksvoll, wie sich ein einzelner Tänzer unter der bedrohlich sich senkenden Decke windet oder wie beim Schlussbild Mahatma Gandhi, der Welt entrückt, auf der steilen Rampe im Lotussitz meditiert. Schon zu Beginn, wenn die Kontrabässe ihre viertaktige Figur spielen, die sich wie bei einer Passacaglia immer wiederholt, füllen die Tänzer die Musik mit Leben. Alle auf Sanskrit gesungenen Texte stammen aus dem zentralen hinduistischen Gedicht „Bhagavad Gita“. Sie stehen allerdings nur in losem Zusammenhang mit den einzelnen Szenen. Unter den Solisten gefällt besonders Cathrin Lange mit ihrem klaren, tragfähigen Sopran in der Rolle von Gandhis Sekretärin Miss Schlesen. Auch Nicholas Crawley (Parsi Rustomji/Krishna), Maren Favela (Kasturbai), Anna Rajah (Mrs. Naidoo), Sofia Pavone (Mrs. Alexander) und Karl-Heinz Brandt als mythologischer Krieger Arjuna beeindrucken durch vokale und choreographische Präzision und ein Höchstmaß an Konzentration. Selbst im musikalisch extrem dünnen dritten Akt nach der Pause, in dem Philip Glass außer endlosen Tonleitern kaum mehr etwas einfällt, schaffen es die von Regisseur Sidi Larbi Cherkaoui zu einer großen Einheit geformten Akteure auf der Bühne, der musikalischen Dauerschleife eine Richtung zu geben. Und halten so das Publikum wach.
Weitere Vorstellungen: 30. April; 2./4./6. Mai; 12./14./16./18. Juni 2017