Foto: Szene aus "Ich bin das Volk" in Memmingen © Karl Forster
Text:Manfred Jahnke, am 23. April 2017
Max Claessen inszeniert „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Kroetz am Landestheater Schwaben.
Als 1993 bei einem Brandanschlag gegen das Haus einer türkischen Familie in Solingen fünf Menschen verbrannten, fetzte Franz Xaver Kroetz seine Szenen nieder, voller Wut auf das neofaschistische Denken seiner Deutschen. „Ich bin das Volk“ nannte er seine Szenencollage. 2017, vierundzwanzig Jahre später, ist diese Collage aktueller als je, der tumbe Stumpfsinn der Afd ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Figuren, denen Kroetz auf das Maul geschaut hat, reißt er die Masken von den Gesichtern. Ähnlich wie Horvàth analysiert er die Denkstrukturen hinter den schönenden Wortkaskaden. Und da Kroetz direkter als sein Vorbild ist, wirkt mancher Text kabarettistisch überspitzt. Aber nicht nur das Lachen bleibt einem im Halse stecken, sondern erschreckend, wie die Wirklichkeit selbst zur Grimasse geworden ist.
Wenn „Ich bin das Volk“ zu einem Abbild der bundesrepublikanischen Afd-Wirklichkeit werden kann, erstaunt es doch, wie wenig Bühnen diese Szenencollage für sich entdecken. Da ist es ein Verdienst des Landestheater Schwaben, dass es die „volkstümlichen Szenen aus dem neuen Deutschland“ (Untertitel) neu entdeckt und den zeitlichen Abstand zwischen 1993 und 2017 mit reflektiert. Max Claessen (Regie) und Silvia Stolz (Dramaturgie) haben eine neue Grundsituation entwickelt. Während bei Kroetz die Szenen nebeneinander stehen, werden bei den beiden Bearbeitern die Akteure zu den Mitgliedern einer Familie, Vater, Mutter (beide blond), sowie Sohn und Tochter (beide dunkelhaarig), die in einem Wohnwagen irgendwo im Allgäu hausen. Neben diesem hat Ilka Meier als Bühnenbildnerin links eine kleine Tannenschonung aufgebaut, in der man immer wieder einmal verschwinden kann.
Hier hat sich eine kleinbürgerliche Familie, die offensichtlich verarmt ist, sich in das Abseits des Waldes begeben (ohne wie im Märchen einen Reifeprozess zu durchlaufen). Claessen/Stolz haben das Textmaterial von Kroetz umgestellt, konzentriert und darüber hinaus faschistisches Liedgut zwischen die Szenen gesetzt, verführend schön gesungen. Wenn dabei auch jede der Figuren durch eine Grundhaltung gekennzeichnet ist, changieren sie in ihren politischen Positionen. Sie werden dadurch widersprüchlicher, auch realitätsnäher und dadurch die dahinter liegenden Denkstrukturen hinterhältiger. Es sind selbstgefällige Menschen, die wissen, dass die Welt rund ist und alle Ecken eliminiert werden müssen. Der Vater des Jens Schnarre scheint eher ein versonnener Typ, der kraftlos manchmal an humanistische Ideale erinnert, aber dann wieder abdriftet in plakative rechte Klischees. Seine Frau hingegen, von Anke Fonferek gespielt, stellt sich wie eine Glucke vor die Tochter (Elisabeth Hütter), die polizeilich durch ihre Hakenkreuzaktionen auffällt, von der Mutter als harmlose spontane Aktion abgetan. Grandios wie die Fonferek den „Feuer“-Monolog vorträgt, in dem der Solinger Brandanschlag dialektisch verharmlost wird. Die Tochter, die am konsequentesten eine nazistische Haltung einnimmt, wird von Hütter als naiver Charmebolzen gespielt. Die größten Sprünge, bzw. Widersprüche muss Sandro Sutalo in seiner Rolle als Sohn aushalten. Das macht er gekonnt und überzeugend.
Max Claessen setzt in seiner Inszenierung auf Leichtigkeit und Tempo. Beides gelingt mit dem Ensemble hervorragend. Am Ende schafft er noch einen Theatercoup: Man erschießt sich gegenseitig, nur die Mutter überlebt, weil keine Patronen mehr in der Pistole sind. Und dann tritt am Ende wie am Anfang eine Figur auf, die keinen Zweifel daran lässt, wo dieses Stück verortet ist: der Krampus des Allgäus, der mit seiner Maske, Ziegenhörnern und Glocken Angst macht.