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Von wegen „Bühnenweihfestspiel“

Richard Wagner: Parsifal

Theater:Landestheater Coburg, Premiere:09.04.2017Autor(in) der Vorlage:Wolfram von EschenbachRegie:Jakob Peters-MesserMusikalische Leitung:Roland Kluttig

Mit seiner „letzten Karte“, dem „Parsifal“, hat Richard Wagner die meisten seiner Kritiker und Kollegen musikalisch für sich gewonnen. Dennoch ist die Liste der Zweifler an Richard Wagners pseudosakralem Bühnenweihfestspiel und der Skeptiker an seiner streitbaren weltanschaulichen Botschaft lang. Das Unbehagen am Sinnenfeindlichen und am messianischen Regenerations-, ja Weltverbesserungsanspruch des Werks gehört seit Friedrich Nietzsches giftig-klugen Polemiken zum Standardrepertoire aller intellektuellen Auseinandersetzungen mit dem Stück. Ganze Bibliotheken sind angefüllt mit Interpretationen und Deutungen des „Parsifal“ und seiner apokryphen Schlussformel „Erlösung dem Erlöser“. Ob es sich um ein Werk von szenisch chiffriertem, folgenreichen Antisemitismus handelt oder um den Versuch Wagners, mit einem theatralischen Selbstreinigungsritual der eigenen erotischen Getriebenheit Herr zu werden, sei dahingestellt. Jedenfalls hat das Rezept der Erlösung durch Entsagung auch und gerade beim Ertomanen Wagner versagt.

Jakob Peters-Messer greift in seiner klaren, sezierenden Inszenierung die neuralgischen, heiklen und unbehaglichen Dreh- und Angelpunkte  des Bühnenwerks auf und stellt sie durch fast parodistische Übertreibung und Zuspitzung in Frage. Die von Guido Petzold entworfene weiße Bühne – halb Neonröhreninstallation, halb Großraumbüro mit einstürzender Decke – macht schon, wenn der Vorhang aufgeht, unmissverständlich klar: Das Weihfestspiel bleibt außen vor. Man wohnt dem ernüchternden Selbsterhaltungsritual eines von Sven Bindseil paramilitärisch in grau und schwarz gekleideten misogynen Männerbunds bei, angeführt vom Sektenführer Gurnemanz im Priesterrock. Da kämpfen Männer aus Angst vor dem Weiblichen ums Überleben. Einen von den Ihren, den König ihres Gralsbunds, Amfortas, hat es erwischt. Er hat sich von Kundry, die im schwarzen, alten Parka wie ein weiblicher Clochard auftritt, zu böser, verderblicher Lust verführen lassen. Was man kaum glauben mag, denn sie ist auch im zweiten Akt, in dem sie den „tumben Toren“, einen noch unberührten Jüngling namens  Parsifal, rumkriegen will, alles Andere als eine betörende Sirene. Peters-Messer zeigt diese „Urteufelin“ als bäuerlich derbes Weib, das sich einen Glitzerfummel überstreift, eine Marilyn-Monroe-Perücke aufsetzt und ihre Rolle spielt, zu der sie nun Mal verdammt ist.

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Peters-Messer entlarvt und demaskiert das weibliche Verführungstheater als faulen Zauber. Diese Kundry hat den Sexappeal einer überreifen Zarah-Leander-Travestie. Da kann sie noch so sehr mit Zaunpfählen, um nicht zu sagen, Kinderwagen und Häschenpuppe winken. Man glaubt ihr den Appell an die Mutterrolle, ihren letzten Trumpf, den sie aus dem Ärmel zieht, um den widerstrebenden Parsifal in die Knie zu zwingen, eben so wenig, wie der den Blumenmädchen verfällt. Die sind bei Peters-Messer dusselige Sexpüppchen in transparenten weißen Partykleidchen. Psychedelischen Rosaprojektionen schummeln erotische Atmosphäre vor. Auch das fauler Zauber. Sie winken mit kindlichen Hasenpüppchen (Parsifal gilt traditionell als Osteroper, seit Wagner Étienne Mehuls „Josephslegende“ von den Spielplänen verdrängte). Doch auch diese abgerichteten Lolitas verfehlen ihre Wirkung. Klingsor, ihr Meister, der als (abgründige) Kehrseite des Amfortas dargestellt wird, geht leer aus. Der selbsternannte Kastrat hat keine Chance gegen den von Natur aus gegenüber erotischen Anfechtungen standhaften Parsifal, weswegen er sich am Ende des zweiten Aktes widerstandslos den Speer, seinen Zepter und Zauberstab, den er einst Amfortas raubte, aus der Hand nehmen lässt. Theaterzauber bedarf es da nicht mehr.

Parsifal ist bei Peters-Messer keuscher Musterknabe unanfechtbarer Empathie, eher Held des Mitleids als der Erlösung.  Er hat „den Schleier der Maya“ durchschaut, um es Schopenhauerisch zu sagen, das alte, fragwürdige erotische Spiel zwischen Mann und Frau, das zum Kampf um Leben und Tod werden kann. Daher kehrt Parsifal im dritten Akt nach seiner Wanderung, die ihn offenbar bis ins buddhistische Indien geführt hat, orange gewandet als Saniassin zurück ins Gralsgebiet. Ausgerechnet am „allerheiligsten Karfreitag“! Doch auch die zauberhafte Karfreitagsmusik  zeigt keinerlei Wirkung. Kein Frühlingserwachen auf der Bühne. Peters-Messer weiß, dass Wagner gegenüber Cosima seine Karfreitagsinspirationslegende als reine Erfindung eingestand. Parsifal taucht am Ende den mitgeführten heiligen Speer in den von Kundry emporgehaltenen weißen Gralskelch. Das Männliche und das Weibliche vereinigen sich, aber symbolisch nur. So leicht geht „Erlösung“. Es ist allenfalls individualpsychologische Erlösung von der vorgegebenen Rolle, mehr nicht.

Kundry, offenbar von je klüger als die Männer, hat ihre weiblichen Attribute, den Glitzerfummel und die Perücke, längst wieder abgelegt und geht im grauen Hängerchen, in authentischer Unschönheit, grinsend von der Bühne. Parsifal folgt ihr traumwandlerisch nach auf dem Weg ins Nirwana? Auf der Bühne niemand mehr, die Erlösungschöre kommen aus dem Zuschauerraum. Bloße Lippenbekenntnisse. Große Oper eben. Botschaften, die auf taube Ohren stoßen. Peters Messer geht weit in seiner radikalen Entzauberung von Wagners „Weltabschiedswerk“, die gemessenes Schreiten, rituale Gänge, eucharistische Posen in Zeitlupe, oberammergauhafte Fußwaschung und ekstatische Gralskelchenthüllung im ersten Akt nur zeigt, um im Brechtschen Sinne kritische Distanz beim Zuschauer zu erzeugen. Dennoch hat das Coburger Premierenpublikum gejubelt vor Freude darüber, zum Abschluss von Bodo Busses erfolgreicher Intendanz endlich einen eigenen „Parsifal“ sehen und hören zu dürfen. Ermöglicht wurde das dank eines großzügigen Sponsors aus der Wirtschaft.

Dennoch ist die Produktion eine Gratwanderung. Choristen und Solisten mussten engagiert werden, die Orchesterbesetzung ist reduziert, was vor allem im Streicherklang empfindlich auffällt. Der Raum ist akustisch nicht  für spätromantische Klangorgien geeignet. Dennoch wird vom Chor und Extrachor des Landestheaters Coburg (Chordirekktor Lorenzo Da Rio) notorisch zu laut gesungen. Besonders schade ist es, dass die Blumenmädchen so schreien. Es sind eher regielich glaubwürdige Überlebens- als musikalisch überzeugende Lustschreie. Warum die Sopranistin Tünde Szaboki in Coburgs Schmuckkästchen so aufdreht, ist unverständlich. Ihrer höhenbetonten Stimme geht alles Mezzosopran-Sinnliche, das man der Partie der Kundry schätzt, ab. Ein Minimum an sängerischer (um nicht zu sagen psychologischer) Gestaltung hätte man erwarten dürfen. In einem Haus wie Coburg könnte man Kundry auch liedhaft singen – wenn man’s kann. Durchschlagskraft ist hier nicht alles. An der mangelt es dem führenden Hausbassisten Michael Lion auch nicht, der den Gurnemanz als noble, sehr wortverständlich singschauspielerische Autorität gibt. Auch Michael Bachtadze in der Dopoelrolle Amfortas/Klingsor überzeugt mit seinem kernigen Bariton.

Problematisch ist die Besetzung mit dem Tenor Roman Payer in der Titelpartie. Der junge Sänger (der wie alle Hauptpartien dieser Produktion im Wagnerfach debütiert) hat stimmtechnische Defizite. Er tut sich schwer mit der Partie. Ein Wunder, dass er den Schlussgesang noch anständig bewältigte, nach seinen hörbaren Problemen zuvor. Dass er zum Schluss so „schön“ sang, war vielleicht das einzige Wunder des Premierenabends. Die erstaunliche Leistung des Philharmonischen Orchesters des Landestheaters Coburg ist kein Wunder angesichts der zuverlässig bewährten kapellmeisterlichen Qualitäten seines Chefs Roland Kluttig. Er lässt in klug disponierter, klanglich raffiniert ausbalancierter und kraftvoll unpathetischer Lesart dieses „Parsifal“ vergessen, unter welch reduzierten und begrenzten Bedingungen er realisiert wird. Chapeau!