Während Manfred Trojans Oper „Orest“, die vor wenigen Wochen in Zürich Premiere hatte, erst nach dem Mord des Protagonisten an seiner Mutter Klytaimestra einsetzt, wird in Basel ein größerer Teil aus Aischylos‘ „Orestie“ gezeigt. Die Basler Fassung verwendet für die deutschen Texte die neue Übersetzung von Kurt Steinmann. Es werden mit „Oresteia“ (1956/66, revidiert 1989/92), „Kassandra“ (1987) und „La Déesse Athéna“ (1992) insgesamt drei theatralische Werke von Iannis Xenakis miteinander kombiniert. Eine formvollendete Oper mit stringenter Handlung und dichter musikalischer Faktur wie in Zürich ist in Basel nicht zu sehen.
Der archaische Abend ist kantiger, rätselhafter und brüchiger. Kein groß besetztes, spätromantisches Symphonieorchester ist zu hören, sondern ein zehnköpfiges Ensemble der Basel Sinfonietta (Leitung: Franck Ollu), das mit einem Cello nur einziges Streichinstrument aufweist und mitten im Geschehen auf der Bühne postiert ist. Als klangliches Gegenüber dient auf einem weiteren Podest ein dreiköpfiges Schlagzeugensemble. Die instrumentalen Klänge des Abends sind scharf, direkt und spröde. Glissandi ziehen den sicheren Boden unter den Füßen weg, harte Trommelschläge verstärken die Emotionen, lange Pausen ersetzen instrumentale Übergänge. Der Chor des Theaters Basel (Leitung: Henryk Polus) wird mit altgriechischen Texten, die in parallelen Akkordverschiebungen gesungen oder auch halbwegs synchron gesprochen werden, wie in der griechischen Tragödie zu einem wichtigen Element des Dramas. Am Ende hat auch noch die Mädchen- und Knabenkantorei Basel in Schuluniform einen kurzen einstimmigen Auftritt.
In diesem Spannungsfeld agieren die fünf Schauspieler und der Sänger mit großer Körperlichkeit und heiligem Ernst. Myriam Schröder ist eine stolze Klytaimestra, Simon Zagermann ein gerade in seiner Kontrolle brutaler Agamemnon, dessen Mord an seiner Tochter Iphigenia im Wald als Videoeinspieler den düsteren Abend eröffnet. Die Doppelrolle Kassandra/La Déesse Athéna gestaltet der Bariton Holger Falk mit bewundernswerter Radikalität, wenn er seine Stimme im Falsett wimmern oder mit Bruststimme brüllen lässt und dazu noch zuckt und zappelt. Warum Bieito diese rätselhafte Seherin am Boden mit einer Lyra zwischen seinen Beinen kopulieren lässt, erschließt sich genauso wenig wie viele andere szenische Details. Bis auf Agamemnon und Aigisthos (Steffen Höld) müssen sich alle einmal bis auf die Unterwäsche ausziehen. Brutal wird es, wenn Orestes (voller Spannung: Michael Wächter) Klytaimestra minutenlang unter Röcheln, Schreien und Zittern erdrosselt, während seine inzestuöse Schwester Elektra (fokussiert: Lisa Stiegler) lustvoll zuschaut und ihm nach der Tat einen Belohnungskuss gibt.
Der Abend hat gerade in seiner permanenten Eskalation Längen. Auch die Musik Xenakis‘ trägt nicht wirklich, sondern verliert immer wieder an emotionaler Kraft. An den Akteuren liegt es jedenfalls nicht, dass die Premiere einen gemischten Eindruck hinterlässt. Gerade die Schlagzeuger glänzen durch Präzision und Differenzierung. Chor, Sänger und Schauspieler geben alles. Franck Ollu dirigiert klar und unaufgeregt. Und bewahrt bei all den dunklen, eruptiven Emotionen einen kühlen Kopf.