Szene mit Agneta Eichenholz, Michael Nagy und Gieorgij Puchalski

Ein Königreich für einen Liebhaber

Andrea Lorenzo Scartazzini: Edward II.

Theater:Deutsche Oper Berlin, Premiere:19.02.2017Regie:Christof LoyMusikalische Leitung:Thomas Søndergard

Natürlich ist es im Jahre 2017 nicht mehr wirklich mutig oder riskant, eine Oper in Auftrag zu geben, die das Thema Homosexualität explizit auf die Bühne bringt. Zumindest nicht mitten in Deutschland, in Berlin und an der Deutschen Oper. Doch selbst hier (und nicht nur in Warschau oder Moskau) könnte sich die eine oder andere Edelfeder mit verschwörungstheoretischem Eifer der angeblichen Verschwulung der Oper wieder mal das Wort reden. Von den alternativen deutschen Saubermännern und -Frauen gar nicht zu reden. Erledigt ist das Thema jedenfalls nur scheinbar. Der ungeteilte Beifall des Premierenpublikums nach der jüngsten Uraufführung im Haus an der Bismarckstraße war wohl auch nicht nur dem Respekt vor einer veritablen Kunstanstrengung geschuldet, sondern hatte in Bezug auf das Thema auch etwas von einem wohlfeilen Pfeifen im Walde. Mit einem Hauch von Berliner Szenen-Event. Wovon die beiden kömodiantischen Figuren im Stück am meisten profitierten, die Markus Brück und Gideon Poppe in wandelnder Gestalt aus der schwulen Klischee-Witzkiste entspringen ließen.

Sie gehören zum bewussten Brückenschlag vom 14. ins 21. Jahrhunderts, den die neue Oper des Schweizers Andrea Lorenzo Scartazzini (46) über den englischen „Edward II.“ versucht. Ernster wird es, wenn die beiden sich auf ein makaber, gleichwohl plakatives Quiz mit dem König einlassen, wer denn gefährlicher sei: die Juden oder die Sodomiten. Gespenstisch gelingt der Regie die Assoziation, die James Kryshak mit seinem Auftragsmörder Lightborn als banalem Schreibtischtäter in Pullunder und grauem Anzug heraufbeschwört.    

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Die Geschichte selbst hat Thomas Jonigk in eine Librettoform gebracht. Natürlich mit den historisch überlieferten Eskapaden um den Titelhelden und seine literarisch bekannteste Umsetzung von Christopher Marlowe 1593 als Vorbild, verlegt er sich dabei auf ein Changieren zwischen narrativen und Traumelementen, die er in eine heutige Sprache einbindet, die bis zum Vokabular des Schwulenmobbings auf Neuköllner Schulhöfen reicht. 

Im Mittelpunkt steht jener Edward II, dessen historisches Vorbild 1284 geboren wurde und der 1327 auf jene bestialische Weise durch Pfählen mit einer glühenden Eisenstange ermordet wurde, die szenisch als historisches Schaubild für wissbegierige Touristen angedeutet wird. Aus Gründen der herrschenden Konvention mit Isabella verheiratet und mit einem Thronfolger versehen, lebt er die Beziehung zu seinem Liebhaber Piers de Gaveston so exzessiv aus, dass es nicht nur die Königin („In meinem Schlafzimmer hast du nichts zu suchen!“) auf die Palme bringen muss. 

Mit einem Alptraum des Königs beginnt die neunzigminütige Oper. Männer mit blutbefleckten grauen Straßenanzügen von heute werfen dem König unter Führung von Roger Mortimer (Andrew Harris verpasst ihm überzeugend die herrische Machostatur und skrupellose Machtgier) seinen Geliebten Gaveston in einem blutbefleckten Brautkleid vor die Füße. Ihre höhnische Huldigung für das Brautpaar sieht eher nach Vergewaltigung und Lynchmord aus. Das ist szenisch und auch mit seiner Orchesterwucht ein gelungener Sprung mitten ins Geschehen und bleibt das stärkste der zehn Bilder. Die bieten dann die homophoben Hetztiraden des Bischofs (Burkhard Ulrich), ein Lehrstück über die Manipulierbarkeit (und Dummheit) der Massen, das wohl eine Spur zu didaktisch gerät, die Jagd auf Gaveston, die Formierung der Gegner des König. Aber auch dessen eigenen Amoklauf, mit dem die Saat von Hass und die Gewalt gegen die Schwulen und die offene Brüskierung der Gesellschaft durch den König, als überkompensierende Gewaltorgie seinerseits aufgeht. Was am Ende siegt, ist vor allem die Gewalt. Was verliert, ist die Chance zur Toleranz. 

Die Art wie Regisseur Christoph Loy und vor allem Klaus Bruns (Kostüme) die Vergegenwärtigung des Historischen in dem düsteren gotisch angehauchten Bühnenraum  (Annette Kurz) aufgreifen, die Jonigk versucht, führt dabei gleichzeitig zu mehr Nähe und zu mehr Distanz. So ist Edwards angetraute Ehefrau mit einem Maß an Selbstreflexion über die Menage a trois, mit der sie umzugehen versucht, ausgestattet, die gut und gerne aus einem cineastischen Beziehungsdrama von heute stammen könnte. Immerhin hat Agneta Eichenholz dadurch alle Möglichkeiten, ihre Isabella von jedem Verdacht freizuhalten, in dieser Männeroper nur ein vokales weibliches Feigenblatt zu sein. Und die nutzt sie eindrucksvoll. 

Wie überhaupt die Stimmen bei Scartazzini unter der umsichtigen Leitung des Orchesters der Deutschen Oper durch Thomas Søndergård geradezu melodisch und obendrein wortverständlich zu ihrem Recht kommen. Auch wenn die Originalität der Komposition mehr in den atmosphärisch dräuenden, oder vehement ausbrechenden, durchweg sinnlich und mit großer Geste orchestrierten instrumentalen Passagen liegen mag. Dass eine Opern-Novität sich nicht in eine selbstbezügliche Abgeschlossenheit flüchtet, sondern den Zugang zu ihren erzählerischen und emotionalen Grundierungen ebnet, kann man ihr kaum als Nachteil ankreiden. Michael Nagy und Ladislav Elgr verkörpern den König und seinen Lover mehr als getrieben Leidende, denn als wirklich brüskierend herausfordernde Typen. Jarrett Ott als Transen-Engel im Pailettenkleid spielt nicht als einziger, aber am deutlichsten metaphorisch die Klischees der attraktiven smarten Schwulen aus, auf die manch einer vielleicht einfach nur neidisch ist.   

Mit dem Zeitsprung, der das Schicksal dieses Liebespaares einer mäßig aufmerksamen Touristengruppe präsentiert, mogelt sich der Abend irgendwie versöhnlich aus dem Alptraum.