Fingerkuppen abenteuern über die nackte Haut, Nägel ziehen Striemen der Lust. Es wird gepiekst, gestreichelt, gekitzelt, gekuschelt. Schließlich schultert und entführt er sie. Nein, das ist keine Softporno-Miniatur, sondern das erste von reichlich Duetten, die von den Ensemblemitgliedern in wechselnden Besetzungen in ihrer jeweils eigenen Bewegungssprache formuliert sind, stets mutig um Authentizität bemüht und Intimität nicht scheuend. Es geht um Liebesprobleme wie einseitiger Zuneigung, zu großer Nähe, Verlustangst, Hörigkeit, Hölle der Eifersucht und wilde Schönheit des Verlangens. Zu sehen ist ein kleines Spektrum dessen, was Körper, die voll auf Liebe sind, so miteinander anstellen. Da robbt der weibliche, von Babys, Heirat, großer Familie schwadronierende Körper dem männlichen hinterher, sich den Ansprüchen entziehen will.
Es folgt ein erfahren wirkendes Paar, das in herb rustikaler Direktheit ihre Geilheit in Art eines Zweikampfs auslebt. So scheint es. Bis sie sagt, ihm fehle die Leidenschaft. Sofort wird das gesamte Ensemble zu einer Schulung einberufen, alle erdenklichen erogenen Zonen eines Partners mit schmatzendem Feinsinn der Lippen Sinnlichkeit zu stimulieren. Woraufhin weiteres Aufeinanderzu, Voneinanderweg, Umeinanderherum, miteinander Verknoten präsentiert wird. Manchmal kugeln die Paare wie Welpen über den Boden. Manchmal sind schlichte Gockel- und Hennentänze zu sehen. Manchmal schaut es auch aus, als würde Sigmund Freuds These bebildert, die Liebe sei nichts als der unbewusste Wunsch, in die Geborgenheit an Mutters Brust zurückzukehren. Und wenn mal ein angebetetes Wesen nicht will, wird das als Chance für ein kleines Solo genutzt – mit einem gigantischen Poster des Beschwärmten als Kuscheldecke, auf der sich auch prima räkeln lässt.
Diese Nummernrevue ist unterbrochen von Gruppenszenen: warmmachen für den Überschwang des nächsten Pas de deux, das auch mal als Heißrubbeln der Körper auf dem Bühnenboden praktiziert wird. Zum Tanz- dirigiert Samuel Emanuel geradezu filmmusikalisch ein Musikpotpourri – von Renaissance-Kompositionen bis hin zu zeitgenössischem Ludovico-Einaudi-Kitsch. Als mal Ruhe ist, erzählen die Tänzer schnell noch von ihrem ersten Mal – recht lust- bis trostlose Geschichtchen, aber einmal fühlte sich der Sex auch an „wie Sambatanzen ohne Vorkenntnisse“. Dann werden Papierschnipsel in die Luft geworfen: dancing in the confetti-rain. Oder sind es Blütenblätter eines Sie-liebt-mich-sie-liebt-mich-nicht-Rituals? Schöne Bilder, ja, die gibt es auch mal zwischen all den Momentaufnahmen.
Was fehlt sind eine choreografische Handschrift, dramaturgische Stringenz und inszenatorische Wucht bei der Transformation der flirrend amourösen Verwirrungen zu Raum, Bewegung und Klang. Für eine große Produktion mit großen Ensemble und dem Staatsorchester Braunschweig im großen Haus des Theaters – ist diese Präsentation von Tanz-Workshop-Ergebnissen zu Facetten der Liebe ein bisschen wenig.