Foto: Ensembleszene © Bettina Stöß
Text:Christian Muggenthaler, am 17. Februar 2017
Der Regensburger Haus-Choreograf Yuki Mori ist bekannt für seine sehr durchdachten, präzisen, ausdrucksstarken, oft narrativen Ballett-Abende; sein Stil ist geprägt von europäischen Einflüssen und nimmt japanische Traditionen mit auf. Mit seinen getanzten Biografien belebt er Ideen von Johann Kresnik, markant sind auch seine spartenübergreifenden Arbeiten. In der vergangenen Saison war er mit seinem Tanzkrimi „The House“ für den Theaterpreis FAUST nominiert, das Regensburger Tanz-Ensemble hat er inzwischen ohne Zweifel überregional bekannt gemacht. Jetzt ist in Regensburg wieder eine spartenübergreifende Arbeit von ihm zu sehen: die Tanzoper „Les Enfants Terribles“ von Philip Glass. Herausgekommen ist: ein starker, eher düsterer Musiktheaterabend voll eindringlicher Bilder über das Generalthema Schmerz und Verwundungen.
Diese schrecklichen Kinder, sie lieben sich so. Und sind doch Geschwister: Elisabeth und Paul. Glass hat den gleichnamigen Roman von Jean Cocteau vertont; es geht um Inzest und Drogen, aber auch um die Grenzlinie zwischen Möglich und Unmöglich, mit der Moris Theaterabend spielt. Weil Paul sich in Elisabeths Arbeitskollegin Agathe und sie sich in ihn verliebt hat, seine Schwester sie aber mit dem Jugendfreund Gérard verkuppelt, nimmt Paul sich mit Hilfe einer Überdosis Opium das Leben; Elisabeth folgt ihm in den Tod. Eine Tragik am Ende, bei der Glass‘ Partitur für drei Klaviere die Melodiebögen des Anfangs wiederaufnimmt: Wir sind alle, so heißt’s denn auch im Stück, Teil eines Dramas, von dem wir erst am Ende wissen, dass es eines war.
Moris Inszenierung nimmt sämtliche Kanten und Passagen der Vorlage nüchtern ernst und übersetzt sie in eine scharfkantige und zugleich schattige Bühnensprache, die schnell an einen unheimlichen Unterstrom entwickelt. Denn es sind die Tänzer, die zu den Geistern der Handlung werden; gewandet in nachtblauen Anzügen (Kostüme: Antonia Fietz), verkörpern sie die Seelenbezüge des Darstellerquartetts, den Unterbau des Unbewussten, zucken, bäumen sich auf, halten sich fest, ringen sich nieder. Manchmal treten die Tänzer hinter den Sängern hervor und aus ihnen heraus, als seien sie deren emotionale Schatten; und zugleich werden sie in der ihnen nachschweifenden düsteren Atmosphäre Nachtmahre, Lemuren, Quälgeister, Dämonen.
Besonders deutlich wird dies, wenn etwa ein Paar als getanzter Kommentar der aufkeimenden Geschwisterliebe die Unmöglichkeit zeigt, aus zwei Körpern einen zu machen, oder wenn Paul nachtwandelt und mehrere Tänzer zu ihn begleitenden Nachtgestalten werden: Der Tanz als emotionales Backup ist da ganz bei sich, und Mori schafft es so, besagte Grenze zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit, Wirklichkeit und Unwirklichkeit sichtbar zu machen, vorzustoßen in den Bereich des Traums, auch in den Drogenrausch vielleicht. Beim Bau solch starker Grenzlinien-Bilder unterstützt ihn die Bühne von Dorit Lievenbrück, strikt großräumig-geometrisch, mit klaren Linien und Projektionsflächen für die eingespielten assoziativen Videobilder, auch mit sehr kräftigem, kantigem Lichteinsatz (Licht: Martin Stevens) im dominierenden Schwarz.
Die Musik ergänzt diese Kraft, könnte passagenweise sogar noch druckvoller sein. Sehr beachtlich ist die perlende, fließende Bewegung der Glass’schen Komposition für drei Klaviere umgesetzt, ihre Rhythmik, ihre Verschraubtheit, ihre ganz eigene Tonalität, umgesetzt von Christine Lindermeier, Levente Török und Satomi Nishi, die auch die musikalische Leitung hat. Sich da wiederum sängerisch hineinzuschrauben erfordert großes Können, oft sind die Gesangsspuren Linien, die sich kreuzen und umschlingen; Matthias Wölbitsch (Paul), Anna Pisarewa (Elisabeth), Judith Beifuß (Agathe) und mit leichten Abstrichen Yinjia Gong (Gérard) machen das stimmlich und darstellerisch überzeugend.