Ensembleszene

Von A wie Adolf Hitler bis Z wie Zwingli

Katja Brunner: Man bleibt, wo man hingehört, und wer nicht bleiben kann, gehört halt nirgends hin oder: Eine arglose Beisetzung.

Theater:Luzerner Theater, Premiere:24.11.2016 (UA)Regie:Christina Rast

Einsam und traurig die Trompete, traurig künstlich der Grabkranz. Zu Grabe getragen wird die Angst – doch: Es kann kein Ende geben und die zynischen Vorschläge, die Autorin Katja Brunner in ihrem neuesten Stück dafür gibt, werden nur noch an die Wand projiziert. Franziska Rasts Ausstattung macht es von Anfang an klar, auch wenn man den barock ausladenden Stücktitel nicht zu Ende gelesen haben sollte. Das Saallicht bleibt darum an in der jetzt auf kunstlos gemachten Box auf dem Luzerner Theatervorplatz. Auf dem Podium geht’s guthelvetisch zu: Nüchtern, etwas hilflos. Oder auch etwas ratlos, wie Katja Brunners nur teilweise scharf sezierte Kritikpunkte.

Was soll man auch machen, als Igel unter lauter Parasiten und bedrohlichen Raubtieren? Man hält sich halt zurück. Und so landet man auch für die Beisetzung im „Vereinssäli“ (so der Schweizer Diminutiv), wo Lokalpolitiker in Pantoffeln die Helvetischen Ch-Laute krachen lassen (Adrian Furrer) und wo das Heidi gschtabig Handstände übt und ins Publikum lächelt.

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Katja Brunner hat für ihr drittes Stück fürs Luzerner Theater – der Intendantenwechsel von Dominique Mentha zu Benedikt von Peter ist für die ehemalige Hausautorin also kein harter Bruch  – die Schweiz ins Visier genommen. Soviel ist mal klar. Auch klar sind die verschiedenen Ebenen, die sich aus dem nüchternen, bonmot-gesättigten Provinzler-Setting herausschälen. Als strukturierendes Gerüst dient ein assoziatives, vom Rednerpult verkündetes Alphabet: Von „kein Adolf Hitler“ über „Enzian, Euthanasie, Europafrage“ und der letzten Hexe (Anna Göldin, noch 1782 in Glarus hingerichtet) bis zum Zürcher Reformator Zwingli. Dazu kommt die gegenüber dem Stücktext ziemlich zusammengestrichene Fabelebene des Igels (eine Rolle, die Verena Lercher übernimmt) – ein Selbstbild der Schweiz, seit ihre Armee an der Landesausstellung 1964 in Lausanne sich als Betonigel darstellte. Erkennbarkeit durch Verfremdung, wobei die Tiermetaphorik durchaus auf die Spitze getrieben wird, wenn der schlaue Igel trotz schlechten Sinnen erfolgreich mit den Gefährlichen paktiert und den Kleinen nicht nur mit seinen Stacheln, sondern auch mit Dampfwalzen droht. Und dann ist da auch noch das Heidi als Symbolfigur. Ihr Geissenpeter ist längst weg – und auch Yussuf, offenbar so etwas wie sein Nachfolger, wird gerade ausgeschafft.

Als Autorin kann Brunner das schön voneinander absetzen. Regisseurin Christina Rast verwebt die verschiedene Stränge und Abstraktionsebenen mit drei Schauspielern und einer DJane (die Kuhglocken, Jodel und exotische Gesänge zusammenmixt) hingegen eng. Sie nutzt die temporäre Holzbox mit ihrem Fenster hin zur pittoresken Altstadt und der Reuss, um Theaterinnen- und Touristen-Aussenwelt zusammenzuführen. Aber sie lässt ihre Darsteller viel zu oft einfach dozieren.

Das verstärkt den Eindruck einer losen Assoziationskette. Bis Sofia Elena Borsani zu Heidis wütend-ratlosem Schlussmonolog ansetzt und das apfelkauende Naivchen plötzlich fulminant „Schämt euch!“ ins Publikum schmettert. Zwar nimmt die folgende Beisetzungszeremonie dieser „Kündigung“ einen Teil seiner wütenden Kraft, trotzdem verlässt der Text hier (endlich) seine zeitgeistig  ironisch-zynische Grundhaltung und bezieht Stellung. Bis dahin dauert es allerdings, auch wenn der ganze Abend in knapp 90 Minuten vorbei ist.