Foto: Elena Stikhina und der Chor des Theater Basel © Sandra Then
Text:Georg Rudiger, am 23. Oktober 2016
Wohl keine andere Oper Giuseppe Verdis wechselt so unvermittelt zwischen Liebe und Hass, zwischen Frömmigkeit und Gewalt. „La forza del destino“, die „Macht des Schicksals“, ist regelrecht zerrissen in ihren Emotionen. Die Stimmung kann jederzeit kippen. Am Ende, wenn Don Carlo seine eigene Schwester Leonora tötet, gibt es keine Hoffnung – da können auch die Streicher, die ätherisch in hoher Lage aus dem Orchestergraben des Basler Theaters erklingen, keinen Trost mehr spenden. Dirigent Ainars Rubikis verleiht der Oper auch in ihren letzten Takten eine klare dramatische Gestalt. Die Fragilität des Streicherklangs, den das Sinfonieorchester Basel zaubert, zeigt die Brüchigkeit der Zivilisation. Diese sphärischen Töne erscheinen unwirklich angesichts der Gewalt, die kurz zuvor von Giuseppi Verdi mit gestopften Bläserakkorden und heftigen Schlagzeugattacken zelebriert wurde. Überhaupt gelingt es dem lettischen Dirigenten von Beginn an, dieses heterogene, hochdramatische Werk in all seinen musikalischen Extremen zu zeigen. Bereits in der Ouvertüre hat das Sinfonieorchester Basel diesen Fokus, den es den ganzen Abend nicht mehr verliert. Wenn es einmal wackelt zwischen Chor und Orchester, reagiert Rubikis sofort und macht seine klaren Gesten noch etwas größer. Auch die Soli in Violine, Cello, Englischhorn und Klarinette haben spezielle Farben und transportieren Stimmungen. Musikalisch ist das ein großer Abend, zumal das Solistenensemble Herausragendes leistet.
Szenisch besitzt der Abend nicht die gleiche Überzeugungskraft. Sebastian Baumgartens Inszenierung wird von der Bilderflut, die Videokünstler Chris Kondek auf das dreistöckige Bühnenbild von Barbara Ehnes immer wieder projiziert, überschwemmt. Es sind Variationen des Krieges, die Baumgarten aneinanderreiht. Wie das Religiöse ins Martialische umkippt, wie genau die Fanatisierung eines Volkes funktioniert, zeigt er nicht. Die Herberge zu Beginn des zweiten Aktes macht er zur „Playmate-Ranch“ inklusive Kriegerstatuen mit beweglichen Penissen, wo die Bedienungen Baströckchen tragen (Kostüme: Marysol del Castillo). Das ganze Ambiente erinnert an Südamerika, der Heimat des Protagonisten Don Alvaro, oder an einen Grenzort in Texas. Die kleinen Totenköpfe neben den religiösen Devotionalien in der Klosterszene lassen an Mexiko denken. Das Grelle, das auch in der Musik Verdis zu finden ist, spiegelt sich auf der Bühne. Die Szenenwechsel und Zeitsprünge der Oper gelingen Baumgarten mit der Drehbühne mühelos. Den wieder einmal darstellerisch und vokal präsenten Chor und Extrachor des Basler Theaters (Leitung: Henryk Polus) macht er zu eine Gruppe von Individuen, die schnell gleichgeschaltet werden kann. Aber auch bei den Solisten zeigt Baumgarten eine schlüssige Personenregie, die von den großartigen Sängerdarstellern mit Leben gefüllt wird.