Im Stück erkennt der Adel schnell, dass es ihm an den Kragen geht. Heute ist es die bürgerliche Mitte, die Ruhe und Ordnung statt Umwälzungen will, weil sie Angst vor dem Verlust ihres Lebensstandards hat. In Dortmund repräsentiert ein Bürgerchor diese Position, der sich auch „stützend“ um das Wackelpodest kümmert. Aktuelle Angstmacher benennt Pommerat ebenfalls und flechtet in seinen Text mehrmals Schilderungen über den Zuzug mittelloser Fremder ein, die respektlos und an terroristischen Aktionen beteiligt seien. Gemeint ist das politische Erwachen unter den postkolonialen Muslimen, ihr Pochen auf historische Gerechtigkeit, befeuert vom Durst nach Rache. Laut Pommerat steht die Kraft und Überzeugungskraft des demokratischen Modells infrage – wie einst die Monarchie. Regisseur Ed. Hauswirth hätte auf Tortenattacke oder Politikerwerbung als Youtube-Popmusikclip durchaus verzichten können, es ist die sprachlich brillante Parallelführung der historischen und aktuellen Situation, die dieses Stück so spannend macht.
Bis auf die Königsfamilie sind die Duellanten des Debattendramas keine historischen Figuren, sondern passioniert argumentierende Sprechmaschinen bestimmter Ideen des Jahres 1787. Zu erleben ist das auch heute bekannte Spektrum von der militanten Linken über die gemäßigten Sozialisten und Marktfetischisten bis hin zu den Reaktionären mit vorgeblich christlicher Gesinnung. Auch wenn anfangs alle noch irgendwie Monarchisten sind, weil sie meinen, einen starken Repräsentanten zu brauchen. Bis der 3. Stand sich selbst zum Souverän des Staates ermächtigt. Seine Delegierten konstituieren die gesetzgebende Nationalversammlung. Sie absolvieren und präsentieren nun einen Grundkurs in Rhetorik und einen in Demokratie. Wie ist sind Kompromisse, Koalitionspartner zu finden, um mehrheitsfähig zu werden? Inwieweit diskreditieren die Mittel den Zweck? Das furios gleichberechtigte Ensemble startet Politikerkarrieren und füllt emphatisch parlamentarische Mechanismen mit Leben. Mit leidenschaftlichem Überzeugenwollen, als ginge es immer um alles. Wahnsinnig komplex. Hoch verdichtet. Garniert sind die vielstimmigen Dialoge allerdings mit der Unsitte Widerstreitender: Unterstellungen, Beleidigungen und Niederbrüllarien.
Wir wissen ja wie alles endet – im Durchsetzungsterror der Guillotine wird jedweder Idealismus in Blut ertränkt. Live den Bühnendebatten zugeschaltet wird daher ein TV-Nachrichtensender aus Paris. Bilder revolutionärer Eskalation sind zu sehen, Selbstjustiz wird angeprangert. Und gefragt: Wie viel Gewalt erfordert die Gerechtigkeit? Wie viel Freiheit erlaubt das allgemeine Glück? Der Autor erlöst keineswegs aus dem Dilemma zwischen Fundamentalismus und Realpolitik, das Georg Büchner mit „Dantons Rod“ in die Lethargie des Weltekels, die unstillbare Sehnsucht nach dem Nichts überführte. Pommerat zeigt und befördert die Lust, nochmals von vorn anzufangen mit einer vernünftigen Konstitution des Zusammenlebens. Die Inszenierung folgt ihm darin. Der überflüssig gewordene König betont, „die Schnauze gestrichen voll“ zu haben – merkelt dann aber über das Projekt Revolution: „Wir schaffen das.“ An den Theaterwänden ist final der Schriftzug „Kein Ende in Sicht“ zu lesen. Denn viele Fragen sind gestellt. Nur einige Antworten wurden probiert. Aber vor allem ist das Publikum durch die famosen Dispute der Aufführung nachdrücklich animiert worden, die Operation am offenen Herzen gedanklich fortzusetzen. So geht Theater.