Feige
In den „Red acts“ (Rote Akte) der Französin Eléonore Valère Lachky sieht man leider zwei Tänzerinnen, die sich Mühe geben, Amy Josh und Tijana Prendovic, die aber den vier angesagten „Akten“ zu wechselnder Pop- und Showmusik nicht viel abgewinnen. Das liegt wohl an der bemühten Choreographie aus Versatzstücken. Wozu die Zitate, mit pferdchenhaft gehobenen Knien, wackelnden Köpfen, Hinternwackeln aus den 1940er-Musical-Jahren? Elegantes Beinespreizen auf dem Boden? Pseudo-spanisches Torerotanzen mit triumphal erhobenen Armen? Bäuchlings am Boden kleben? Immerhin spricht aus dem präzisen Händefuchteln, Wischen, Schieben, Spreizen, Schließen, das die beiden ohne Berühren zwischen sich ausfechten, ein gewisser Witz. Von wem auch immer die Sequenz geklaut ist.
An ein tieferes höheres Wesen glauben
Den wirklichen Triumph des Abends feiern Mariya Bushuyeva und Bojana Mitrovic mit „Beliefs“ (Glauben, plural) der Ungarin Adrienn Hód. Denn die Choreographin scheint sie frei zu lassen (die Tänzerinnen, die Ansichten) – innerhalb gewisser Vorgaben zum Ablauf. Schon der erste stumme Spaziergang auf der Bühne füllt das ganze hitzeglühende Glashaus, und die Tänzerinnen lassen die gespannte Aufmerksamkeit des Publikums hinfort nicht mehr von der Leine. Und zwar jenseits aller Klischees, oder sie tippen sie nur mal kurz an, wischen sie weg wie Flecken. Wie schnell hätte das kippen können ins Alberne: Geräusche. Die Tänzerinnen holen Töne aus und mit dem Atem, aus dem Innern, aus der Bewegung, oder die Bewegung folgt den Tönen, später konterkariert sie ihnen, den räuspernden, röhrenden, knarrenden, brummenden, quäkenden, fiepsenden, schreienden, lachenden, heulenden. Lauten und leisen, langsamen und schnellen, spitzen und runden. Die Ellbogen, Köpfe, Hände, Beine schütteln und schwenken und knicken und trippeln, hauen, wischen, rotieren. Plötzlich ein stummer Blick wie ein Ruf, dann Blinzeln. Zum Gebrüll bei geschlossenem Mund wird der Körper disziplinierter, gerader, ordentlicher, die Handgelenke werden höfisch gekreuzt, die Knie züchtig eng gestellt, die Tänzerinnen synchronisiert. Aber nicht lange. Das bin alles Ich, und das sind manchmal Wir, scheinen die „Beliefs“ zu sagen, so unglaublich vielstimmig und auf rasant-fröhliche Weise wechselhaft, dass man als Zuschauerin nur so staunt. Wie reich, wie unerschöpflich und schön ist dieses Chaos. Juhuu!