Spannend ist die lapidare Offenheit dieses Theaterabends. Sie stellt Fragen und verlangt zwingend Haltung vom Zuschauer, versetzt ihn, zumindest für zwei Stunden, in eine du-musst-dein-Leben-ändern-oder-doch-nicht-?-Endlosschleife. Genauso spannend, vielleicht sogar noch spannender ist die klug eingezogene zweite Ebene. Der Mann in der Taucherglocke, der am Anfang auf Deutsch – auf der Bühne wird in der Regel Niederländisch gesprochen – die Fragen beantwortet hat, und den die Figuren immer wieder mal ins Vertrauen ziehen, ist Arnon Grünberg, ein in den Niederlanden sehr renommierter Autor, der auf Basis von Improvisationen der Schauspieler, die er wiederum selber angestoßen hat, den Text von „The Future of Sex“ verfasst hat. Er scheint über jede seiner Antworten nachzudenken, zu versuchen, sich klar, differenziert und empathisch auszudrücken. Er sieht dem Geschehen mit Empathie zu und zieht seine Schlüsse. Sex, wie wir ihn kennen, wird verschwinden in Mitteleuropa, sagt er. Und die Figuren sehen zu ihm auf. Das Individuum, das für seine eigenen Bedürfnisse lebt und daher keine, wenige oder nur schwache soziale Bindungen hat, sehnt sich nach einer Instanz, nach jemandem, der weiß, versteht und nicht übel nimmt. Diese Rolle spielt ausgerechnet der Autor, fast eine Utopie in der Dystopie, scharf konturiert, nicht sentimental. Das gab es natürlich schon mal, sogar vor langer Zeit, aber hier ist es theatralisch schon fast absurd stimmig.
Die Bühne wird in rotes Licht getaucht. Der Chor baut sich vor dem Autor im Bullauge auf und scheint etwas zu erwarten. Anweisung. Maßregelung. Lob. Erlösung. Orientierung. Ein starkes Schlussbild. Leider kommt noch etwas. Die vier Schauspieler betreten das Bullauge und sprechen eine Art Mini-Oratorium mit dem wiederkehrenden Ausdruck „Sletten van de Toekomst“, Nutten der Zukunft, Sklaven der eigenen Bedürfnisse, begierden und Zukunftsängste, ein selbstgewisser, ironisch zerbrochener, fast autoaggressiver und dabei arg geschwätziger Text. Ein spannender, ungewöhnlicher Theaterabend endet mit einer verpassten Chance.