Victoria Kunze (Alice), Karl-Friedrich Dürr (König / Köchin), Projektchor der Jungen Oper

Opa im Strampelanzug

Johannes Harneit: Alice im Wunderland

Theater:Staatsoper Stuttgart, Premiere:02.06.2016Regie:Barbara TacchiniMusikalische Leitung:Stefan Schreiber

Warum sich in der Oper Menschen singend unterhalten, ist ja eine durchaus berechtigte Frage. Weil sich durch die Musik eine zweite Bedeutungsebene eröffnet, könnte man antworten. Oder weil Singen ja überhaupt etwas Schönes ist, und wenn man es schon auf der Straße nicht tut, dann doch wenigstens auf der Bühne. Freilich hat das Singen mitunter auch seine Tücken: „Ich denke,“ sagt Alice im dritten Akt  zum Hutmacher, „das hätte ich besser verstanden, wenn ich es aufgeschrieben hätte“, und trifft damit so ganz nebenbei den wunden Punkt dieser Inszenierung von Johannes Harneits Kinderoper „Alice im Wunderland“, die am Donnerstagabend als Produktion der Jungen Oper Stuttgart im Kammertheater Premiere hatte. Denn das gesungene Wort ist nun mal rein akustisch schwerer verständlich als das gesprochene, und wenn das Begreifen des Stücks – wie in diesem Fall – stark vom Text abhängt, kann man leicht den Faden verlieren. Um es klipp und klar zu sagen: über weite Strecken versteht man an diesem Abend  nicht, worum es da eigentlich auf der Bühne gerade geht, selbst wenn man die Romanhandlung kennt. Dabei hat Lis Arends als Basis ihres Librettos die Dialogpassagen aus Lewis Carrolls Kinderbuch genommen, ergänzt durch Monologe, in denen die Protagonistin über sich selbst reflexiert. Doch das nachzuvollziehen ist äußerst mühsam, vor allem, wenn Sopranistinnen singen, zu denen auch Alice selbst gehört . „Wer ist das?“ oder „Was macht die da?“ hörte man denn auch einige Kinder ihre erwachsenen Begleiter schon während der Vorstellung flüsternd fragen, in den Pausen wurde eifrig im Programmheft nachgelesen. Übertitel wären da sicher hilfreich gewesen.

Fraglich ist aber, ob sie das Grundproblem – die Fixierung auf das Narrative – gelöst hätten. Es ist ja nicht einfach, Fantasieräume, wie sie sich beim Lesen eines Romans quasi von selber auftun, auf einer Theaterbühne zu konkretisieren. Der (Trick-)Film hat es da wesentlich leichter, wer Tim Burtons Verfilmung von 2010  kennt, weiß was heute möglich ist. Und man kann der Ausstatterin Vesna Hiltmann auch nicht vorwerfen, dass ihre für Stuttgart entworfene Bühnen wie ihre Kostüme nicht überaus originell und liebevoll gemacht wären. Dennoch tragen sie manchmal zur Verwirrung bei. Dass die grün gekleidete Frau mit dem üppigen Kopfschmuck die Raupe sein soll, macht erst ein Blick ins Programmheft klar. Und wer ist der verwirrte Opa im Rollstuhl? Und warum trägt er einen Strampelanzug? Kinder wollen sowas wissen. Wenigstens Hutmacher und Kaninchen sind leicht zu identifizieren.

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Es ist wohl kein Zufall, dass Komponisten lange Zeit einen Bogen um das berühmte Buch gemacht haben. Johannes Harneits Version entstand 2014 (Uraufführung 2015 am Theater Gera), 2007 wurde eine Vertonung der südkoreanischen, in Berlin lebenden Komponistin Unsuk Chin im Rahmen der Münchner Opernfestspiele uraufgeführt: Achim Freyer inszenierte damals das Werk, das vor allem wegen seiner fantastisch-sinnlichen, an Ravels „L´ enfant et les sortilèges“ erinnernde Klangsprache großen Anklang fand und den Traumaspekt der Erzählung in den Vordergrund stellte. Johannes Harneits Musik fehlt zwar eine wirklich sinnliche Verführungskraft. Doch hat der in Hamburg geborene Komponist hier eine vielschichtige Theatermusik geschrieben, die ein weites stilistisches Spektrum umfasst und sich dabei weder anbiedert noch neutönerisch verweigert. Kinderlieder und hoher Opernton, Popmusik und Quasi-Parlando finden hier mühelos zusammen, und das kleine Instrumentalensemble unter Leitung von Stefan Schreiber setzt Harneits Partitur mit großem technischen Können und viel Emphase um, wie überhaupt hier alle mit Feuereifer bei der Sache sind. Das gilt speziell für den glänzend singenden wie spielenden Kinderchor der Staatsoper, aber auch für die Solisten, von denen Victoria Kunze (Alice) am Ende verdientermaßen den größten Applaus bekommt. Ein wenig gerädert fühlt man nach diesem überlangen Abend  (inklusive Pausen 160 Minuten) aber trotzdem.