Dieser spannungsvolle Wechsel zwischen dem Text von Aischylos, der vom religiösen Recht auf Schutz spricht, und den Berichten über die Behandlung von Geflüchteten heute bestimmt die Aufführung. Dramaturgisch ist das geschickt und überzeugend verzahnt. Mit einem tollen Frauenchor, der nicht mit Elendskitsch oder dem Aufsagen von schlimmen individuellen Schicksalen auftrumpft, sondern mit sachlicher Empörung und Emotion berichtet. Wenn von einem Flüchtling erzählt wird, der neun Jahre lang von einem europäischen Land zum anderen verschoben wird, dann werden von allein Irrsinn und Unmenschlichkeit überdeutlich. So offenbart sich ein heutiges System voller absichtsvoller Fehler und das von Aischylos beschriebene religiöse Recht auf Schutz wird gegen das aktuelle, oft politisch beschnittene Recht gesetzt. Mit vielen Beispielen verdeutlicht die Chorführerin in ihrer Rolle als Anwältin, wie Institutionen absichtsvoll gegen das Recht verstoßen.
Volker Lösch arbeitet mit starker, überdeutlicher, schöner Bildhaftigkeit. Nachdem Pelasgos die einhellige Zustimmung seines Volkes für die Aufnahme der Schutzflehenden mitgeteilt hat, kommen diese in bunten Kleidern als Individuen auf die Bühne. Doch der Herold, der die Frauen zurückholen will, tobt aggressiv, handgreiflich und sexuell anzüglich um die Schar und wird von Pelasgos im Kampf besiegt und vertrieben.
Damit ist in der Antike alles gut für die Schutzflehenden ausgegangen. In der Gegenwart aber werden die Frauen, während sie von erfahrenem Unrecht bei Abschiebungen berichten, einzeln in große, blauweiße Tragebeutel gesteckt, damit sie wieder zurück in ihre Ursprungsländer gebracht werden können. Dann setzt sich der Entscheider auf einen der Beutel und spricht einen überheblichen Text von Sloterdyk, in dem dieser es gut findet, dass es Grenzen gibt, die man beachten muss.
Die Inszenierung setzt die unterschiedlichsten Haltungen sehr bewusst gegeneinander. Und proklamiert am Schluss, wenn von Abschiebungen erzählt wird: Das ist vorbei. Die Vorstellung von einem Nationalstaat, der ungestört so vor sich hinleben kann, sei nicht mehr aktuell. Das neue müsse akzeptiert werden, schließlich habe Deutschland Platz und Geld genug.