Foto: "Wallenstein" im Zwielicht an der Schaubühne © Katrin Ribbe
Text:Michael Laages, am 6. Mai 2016
Seit Peter Steins Versuch vor bald zehn Jahren lässt sich ja nun dankenswerterweise einigermaßen abschätzen, wie lange Schillers dreiteiliges „opus magnum“ über den Kriegsfeldherrn und Politiker Wallenstein dauert, wenn es ohne nennenswerte Striche im Text gespielt wird: zehn Stunden, mindestens. Von solchen Höhen aus betrachtet, ähneln die drei pausenlosen Stunden, auf die das Team um Regisseur Michael Thalheimer das Monstrum für die Berliner Schaubühne zusammen gepresst hat, dann doch einem jener theatralischen Schnelldurchläufe, für die das Thalheimer-Theater ja einigermaßen berühmt ist. Die gleiche Frage wie an den Marathoniker Stein ist allerdings auch an Thalheimer zu stellen: Wohin er denn eigentlich will mit dieser Überforderung?
Denn vieles andere an diesem Abend ist so sehr „typisch Thalheimer“, dass sich die Frage nur noch verschärft. Auch diesem „Wallenstein“ nämlich hat der Regisseur die vertraute Methode konzentrierter Reduktion speziell im Spielerischen wie in der Bewegungsmotorik verordnet – das „Geh– und Steh-Theater“ fast ohne jede Aktion und Berührung innerhalb des Ensembles wird in diesem Fall noch um die Variante des Sitz-Theaters bereichert. Ingo Hülsmann jedenfalls verbringt die ersten 90 Minuten komplett im schlichten Herrscherstuhl… Drastischer kann kaum vorgestellt werden, dass der Feldherr auch im Text sehr lange als Zögerer und Zauderer charakterisiert wird, als Diplomat im Grunde, der nicht wirklich von der kaiserlich-katholischen Fahne weichen und zu den evangelischen Schweden hinüber wechseln will. Will er? Will er nicht? Was bringt ihm, dem tendenziell megalomanen Psychotiker der persönlichen Macht und Über-Macht, den sichersten und größten Vorteil? So lange wägt er die Optionen hin und her, bis er keine mehr hat. Der Politiker akls Nichtstuer – und um ihn herum entfaltet sich ein Spiel, das szenisch gar keins ist.
Von der Rückwand her treten alle nach vorn an die Rampe und sprechen den Text ganz statisch ins Publikum; kaum geht ein Blick mal nach rechts, kaum mal einer nach links. Sind sie fertig, gehen sie, wie sie gekommen sind: geradeaus zurück. Manchmal erstarren sie auch und bleiben stehen, ohne aber ernstlich anwesend zu sein. So ist eine Art zwanghafter Familienaufstellung entstanden im kriegerischen Hause Wallenstein. Dass Peter Moltzen als des Feldherrn treuester Partner (und intrigantester Widerpart), als alter Kriegsmann Piccolomini also, mal schräg von links hinten nach Mitte rechts zum Herrscher-Sitz gehen muss, geht glatt als Sensation durch. Und Regine Zimmermann darf als betrügerische Gräfin Terzky sogar lasziv die Hüften schwingen… Donnerwetter!
Zwischen dem jungen Piccolomini und Thekla hingegen, Wallensteins Tochter, darf abendfüllend nur die Theorie einer Liebe entstehen. Und so sehr sich das Material über weite Strecken ja durchaus auf diese Weise als blank-hierarchisches Konstrukt ganz aus Struktur erzählen lässt und noch in jedem Gang, jeder Nicht-Bewegung immerzu von Macht und Abhängigkeit die Rede ist, ganz konzentriert auf Kraft und Gewalt (auch auf die forciert-laute Gewalttätigkeit!) in Schillers immer wieder ganz unerhörte Sprache, so verbindlich kommt dieser Bemühung um den Klassiker bald alles Theater abhanden.
Dafür fängt der Abend stark an – Bert Wrede entfesselt minutenlang eine Art „Apocalypse now“ und lässt Flieger-Angriffe mit kriegerischen Pferde-Getrappel gemischt durchs düster-vernebelte Theater dröhnen; im Zentrum der ansonsten (bis auf den Wallenstein-Stuhl) leeren Bühne von Olaf Altmann hängt ein halbes Pferd, an den zusammengebundenen Vorderläufen aufgehängt, vom Himmel herab. Und um diesen Kadaver herum zucken die nach fünfzehn Jahren Krieg schon blutverschmierten Heerführer in Wredes lärmendem Donnerwetter wie Zombies. Hier beginnt der Krieg als lautes, schmerzhaftes Ritual. Das ist stark – und wäre eine Idee für den ganzen Abend.
So kommt’s aber nicht – erst zum Ende hin, wenn Wallenstein alle Trümpfe verspielt hat, ihm alle von der Fahne gehen und der von herrscherlicher Überheblichkeit am schlimmsten geschundene Kriegsmann Buttler ihm ans Leben geht, gelangt Thalheimer noch einmal zurück an diesen rituellen Punkt; Blut fließt reichlich, Kehlen werden geschlitzt, Teile aus Körpern heraus gebissen.
Ach ja – und dem letztlich siegreichen alten Piccolomini legt schon wieder der hexenhafte Sternseher Seni die Hand auf die Schulter. Wallensteins Sternen-Glaube ist zentral nur im Programmheft; in der Aufführung nicht.
Was der Inszenierung also fehlt, ist eine Idee, die wenn schon nicht das Spiel, dann wenigstens den Text irgendwie kenntlich macht im Hier und Jetzt. Das ist nicht gewollt, das ist nicht zu erkennen – und Schillers „Wallenstein“ ist bei Michael Thalheimer im Grunde so konventionell geraten, wie Deutschlehrer sich das wünschen. Ob das eine gute Nachricht ist?