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Krankreich

Michel Houllebecq: Unterwerfung

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:22.04.2016Regie:Stephan Kimmig

Unterwerfung“ von Michel Houllebecq schlug in die literarische Welt ein wie eine Bombe, vielleicht auch weil der Roman am Tag des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo Anfang 2015 erschien. Er spielt im Jahr 2022: ein einsamer, antriebsloser Literaturwissenschaftler verfolgt bürgerkriegsähnliche Zustände in Paris und schließlich die Wahl eines muslimischen Präsidenten. Was zunächst wie eine pessimistische politische Vorausschau aussehen mag, die im letzten Jahr noch an Plausibilität gewann, ist im Grunde die Diagnose einer kranken Gesellschaft am Beispiel eines nur in seiner Passivität zuverlässigen Egozentrikers. Die beiden bisherigen Inszenierungen des Romans, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und am Staatsschauspiel Dresden, bewegen sich wesentlich enger an der Textvorlage als die jüngste Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin. Während in Hamburg Edgar Selge in einem furiosen Monolog den Einzelgänger in Karin Beiers Regie als mitteilsamen Unterhalter gestaltet und in Dresden Malte C. Lachmann das Buch gefällig, aber unverbindlich illustriert, wagen in Berlin Regisseur Stephan Kimmig und Dramaturg David Heiligers deutliche Eingriffe in die Textstruktur des Romans, setzen sich über seine Chronologie hinweg und verzichten weitgehend auf erzählerische Passagen. Mit dieser bei weitem durchdachtesten und theatergemäßesten Textfassung schaffen sie die Grundlage für einen so überzeugenden wie niederschmetternden Abend.

Steven Scharfs François liegt in einem weiten Zimmer mit lichtdurchfluteter Dachschräge (Bühne: Katja Haß) immer wieder in einem Krankenbett. Der leise Zweifler wird mehrmals gewaschen, von einer dunkelhäutigen Krankenschwester (Lorna Ishema), die später in kurzen Szenen auch Frauen des Romans verkörpert: eine Kollegin, seine Freundin, bis hin zur im Fernsehen übertragenen Marine Le Pen und einer schwarzen Madonna. Auch die drei anderen Darsteller Marcel Kohler, Camill Jammal und Wolfgang Pregler spielen in meist kurzen Auftritten sowohl Pflegepersonal wie Gestlaten aus der Romanerzählung, den neuen muslimischen ‚Staatspräsidenten oder den neuen Präsidenten der Universität. Aus dem eigenbrötlerischen Literaturwissenschaftler, der sich am Ende des Romans womöglich auf eine Karriere unter muslimischen Vorzeichen einlässt, wird, auch mit Hilfe von Mikroport-Technik und einigen Kameranahaufnahmen, eine in sich gekehrte, kränkliche Figur, die für ein insgesamt morbides System steht: „Es stimmt, dass mein Atheismus auf keiner soliden Grundlage fußt, es wäre anmaßend, das zu behaupten“, sagt François auch stellvertretend für die westliche säkulare Gesellschaft im Gespräch mit dem neuen Universitätspräsidenten, der ihn zur Rückkehr an das gewandelte Institut überreden will, inklusive Konvertierung, exzellenter Bezahlung und mehrerer junger Ehefrauen. Die Unterwerfung ist laut Koran, Herzstück des Glaubens an Allah, für François, den Mann ohne Eigenschaften ist sie eine konsequente Fortsetzung seines ziellosen Lebens. Am Ende durchbricht die nach unten schwebende Papierdecke den Kopf des Einsamen, so dass er schließlich über dem Holzskelett des ehemaligen Dachs balanciert, desorientiert wie eh und je.

Houllebecqs Monolog des François wird hier zu einem theatralen Potpourri mit einem in seiner Zurückhaltung grandiosen Hauptdarsteller. Zuweilen spielt Scharf in mitleidiger Theatralität seine Orientierungslosigkeit groß aus, meist ist er aber ein stiller, selbstverliebter Überforderter, der bei der Wahl des passenden Beinkleids auch durch die Hinweise des hilfsbereiten Publikums nicht wirklich zu einer klaren Entscheidung kommt. Auch wenn diese Fassung der „Unterwerfung“ durch die zwischen Irrenanstalt und Hospiz mäandernde Situation nur einzelne dramatische Situationen bietet, und nach gut zwei Stunden auch ausgereizt scheint, da sich nicht mehr nur der Boden, sondern nun auch das Bett mit seinem Patienten im Kreis dreht: Die Fragen des Romans nach dem Zustand der säkularen Gesellschaft in Europa und ihrer Elite wirft sie in ihrer Offenheit zwischen konkreter Geschichte (nomen est omen) und theatraler Gesellschaftsdiagnose eindrucksvoll auf.