Foto: Gruppenbild mit Musikfabrik. Der Sohn (Christian Miedl, vorn) begegnet dem toten Vater (Yael Rion) als Käfer. Hinten links in grün Adela (Emily Hindrichs) © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 10. April 2016
„Tree of Codes“ von Jonathan Safran Foer ist eine Buchskulptur, eine im Wortsinn graphische Überschreibung von Bruno Schulz‘ „die Zimtläden“, eines Romans in Form zusammenhängender Kurzgeschichten aus den 30er Jahren. Die australische Komponistin Liza Lim führt das Verfahren von Foer fort. Sie nimmt inhaltliche, atmosphärische und ästhetische Impulse des schon bearbeiteten Materials auf und hat, gemeinsam mit dem italienischen Regisseur Massimo Furlan und dem Ensemble Musikfabrik, das neben der Oper Köln und dem Europäischen Zentrum der Künste Dresden auch als Auftraggeber fungiert, über drei Jahre hinweg eine eigenständige theatralische Vision entwickelt.
Das Universum ist ein Forscherlabor. Cosmos steht, zweigeteilt und spiegelverkehrt, auf dem oberen Bühnenrand. In diesen verirrt sich, aus einem Rohr in der Wand erscheinend, eine Art Penner. Er sieht sich staunend um, sieht merkwürdige Masken und noch merkwürdigere Musikinstrumente. Das Programmheft gibt ihnen Namen wie Strohviola und Doppeltrichtereuphonium. Wir sehen ein wenig durch seine Augen. Durch flexible Wände kommen die Forscher und ziehen ihre weißen Kittel an. Der Penner, es ist der Dirigent Clement Power, findet einen Stapel Noten, setzt sich dazu, hebt sanft aber bestimmt die Hände – und initiiert so das Spiel.
Der langsame charmante Beginn weckt Assoziationen an die schwerelose Melancholie eines Christoph Marthaler oder das berserkerhafte Augenzwinkern von Federico Fellinis „Orchesterprobe“. Im Folgenden entspinnt sich eine musikalisch grundierte und gespiegelte, nie dekorierte oder illustrierte Vater-Sohn-Geschichte. Der Vater stirbt oder ist bereits tot. Der Sohn hat Angst davor, will nicht akzeptieren, versucht zu verarbeiten. Immer wieder kommt es zu merkwürdigen Verwandlungen, wird einer Baum, Vogel oder Maskenmensch mit vielen Gesichtern, öffnen sich Dialektik-Felder, weitet sich die intime Thematik durch im Zuschauerkopf entstehende, auch schon mal in einer esoterischen Sackgasse endende Assoziationsketten momentweise zum Welttheater.
Dass man Lust hat, sich einzulassen, liegt an der abwechslungs- und vor allem klangfarbenreichen Musik von Liza Lim, die Cluster und Naturgeräusche, feinste Melodik und bizarrste Dissonanzen zu einer sehr eigenen Sound-Mixtur zusammenfügt. Es liegt an der klaren, sehr konzentrierten Bewegungsregie Massimo Furlans, der die Langsamkeit eingeschrieben ist. Die Bilder entstehen lange und sie bleiben lange stehen. Auch sie fallen manchmal ins Leere, aber das scheint, fast zwingend, Teil des theatralischen Konzeptes zu sein. Vor allem aber garantieren die Darsteller den Erfolg des Abends. Vier stumme Schauspieler liefern skurrile aber nie aufdringliche Typenstudien passgenau ab. Die Sopranistin Emily Hindrichs erfüllt die Rolle des Objekts der Begierde mit wunderbar entspanntem Gesang, der durchaus rauchig-laszives haben kann, aber immer fast verführerisch schön bleibt. Christian Miedl als Sohn verrutscht trotz gewaltigen Tonumfangs nicht eine Phrase und sein glaubhaftes, intensives Spiel veranschaulicht seine Qual geradezu paradigmatisch. Eigentlicher Protagonist des Abends ist dennoch das Ensemble Musikfabrik. Die 17 Musiker sind das Forscherteam, spielen alle die merkwürdigen und konventionellen Instrumente, brillieren auch in kleinen Gesangsrollen und zum Ende hin mit wunderbaren A-Cappella-Chören. Und haben Spaß dabei. Und der vermittelt sich.
Es ist zu wünschen, dass diese in jeder Hinsicht ungewöhnliche Literaturoper Nachspieler findet. Raum für eine weitere, diesmal szenische Überschreibung bietet Liza Lims Komposition in jedem Fall. Ob sich allerdings beispielsweise jemand finden lässt, der die Subkontrabassflöte so virtuos zu bedienen versteht wie Liz Hirst, steht durchaus in Frage.