Foto: Das Ensemble des lutz Hagen © Foto: Klaus Lefebvre
Text:Stefan Keim, am 14. März 2016
15 Jugendliche entern ein Fernsehstudio. Sie kommen aus Altenhagen, einem Stadtteil, der sogar im überschuldeten Hagen als Ghetto gilt. Das Casting für eine seltsame Fernsehshow ist ihre große Hoffnung. Die allmächtigen Redakteure lernen sie nur per Live-Video kennen. Die Kids bewerben sich als Gruppe, doch nur fünf von ihnen sollen das Casting überstehen. Sollen Sie zusammenhalten? Oder kämpft nun jeder für sich? Diese Entscheidung ist eine Weichenstellung. Ist die Solidarität wichtiger oder der kleine Luxus, den 1000 Euro ermöglichen? Geld oder Würde?
Die Konstellation ist bekannt. Lutz Hübner hat sie mit seinem Erfolgsstück „Creeps“ schon vor vielen Jahren durchgespielt. Nun hat er mit Sarah Nemitz das Stück bearbeitet. „Projekt Hagen“ heißt es nun und ist ein Höhepunkt des Festivals „lutz 15“, mit der die Junge Bühne am Theater Hagen ihr 15jähriges Bestehen feiert. Von Hübners Stücken waren der künstlerische Leiter Werner Hahn und die jugendlichen Spieler von Anfang an begeistert. So wurde der Autor zum Namens-Paten des Theaters.
Laien und Profis arbeiten hier nicht zusammen, die Grenze zwischen ihnen verschwimmt auf der Bühne völlig. Werner Hahn ist ursprünglich Sänger am Theater Hagen, das Oper und Ballett, aber kein eigenes Schauspiel hat. Mir riesiger Neugier und Energie hat er sich in das ihm zuvor völlig fremde Feld des Kinder- und Jugendtheaters hineingearbeitet. Angetrieben von der Erkenntnis, dass eine sich wandelnde Stadtgesellschaft neue Theaterformen braucht. Inzwischen ist das „Lutz“ eine Spielstätte nicht nur fürs Jugendtheater, auch für Seniorenclubs, Konzerte, Lesungen, Projekte. „Urbane Künstle“ nennt man das in Metropolen, was Hagen nun schon lange hat.
Das Festival findet nun in der Firma Bandstahl Schulte statt, weil das „Lutz“ gerade renoviert wird. Die Fabrikhalle ist ein idealer Spielort für das „Projekt Hagen“. Die Rollen heißen wie ihre Spieler, die Jugendlichen erzählen von ihrem Leben in Altenhagen, von ihren Träumen und Abneigungen. Sie sind nicht naiv und wissen genau, dass Medienmacher sie oft in Klischees von Ghettokids pressen wollen. Die Show, für die sie gecastet werden sollen, heißt „Ghetto deluxe“.
Es gehört viel Feingefühl und Meisterschaft dazu, aus so vielen Figuren auf der Bühne Individuen zu machen. Jeder kann hier seine Geschichte nur andeuten, aber das funktioniert grandios. Da gibt es Najib el-Chartouni, den bärtigen Rapper, der aggressive Töne mit sehr differenzierten Beobachtungen mischt. Oder Debborah Kuyitila mit ihrer geschmeidigen Soulstimme und trotzig-stolzer Körperhaltung. Niemand präsentiert sich als Täter oder Opfer, hier lernen die Zuschauer junge Leute mit großen Begabungen und klaren Zielen kennen.
Über Debatten um politische Korrektheit ist dieses Theater längst hinaus, auch Mutmach-Botschaften braucht Werner Hahns packende Inszenierung nicht. Es versteht sich einfach von selbst, dass diese grandiosen Leute die Zukunft gestalten werden. Egal, ob ihnen Medienfuzzis dabei helfen oder nicht.