Möglichst kurze, klar gebaute, streng choreografierte, durch Blackouts getrennte Szenen werden sachlich gereiht – in einem kantig sterilen Bunkerbühnenbild (Ausstattung: Frank Albert), das auch ein leergeräumtes Wohnzimmer im modernen Betondesign oder eine Kellerkirche darstellen könnte. Der hineinplatzierte Steinquader ist Verhandlungstisch, Abstellort für Butterbrote, Altar und Kanzel.
Mit einem grotesken Vorspiel werden erstmal Nazifiguren lächerlich gemacht. Sie schunkeln zu Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“, sprechen lustige Dialekte und garnieren ihr pöbelndes Herrenmenschendasein mit Saufen, Kotzen, Würstchenfressen. Polternde Knallchargen! Dann nehmen sie ihre Masken ab – und ein Uniformierter offenbart sich dem Publikum. In der „Stellvertreter“-Verfilmung Constantin Costa-Gravas war er 2002 der geheimnisumwitterte Held: Kurt Gerstein. Ulrich Tukur gab ihn als zerrissenen, taktisch kaltblütigen, überschwänglich religiösen Idealisten und SS-Mann, der für die Belieferung der Gaskammern mit Zyklon B verantwortlich ist. Den Auftrag im Zentrum der Mordindustrie nutzt Gerstein, um eben diesen Nachschub zu sabotieren und seine Wissen über die Vernichtungsmaschinerie zu protokollieren. Damit will er die Weltöffentlichkeit aufrütteln. In Münster rüttelt er nicht und entwickelt auch kein Heldenprofil. Aurel Bereuter spielt ihn unscheinbar verdruckst, geradezu ängstlich.
Auf der Bühne steht daher der römische Jesuitenpater Riccardo Fontana SJ im Mittelpunkt. Als Gewissen der Aufführung leitet er durch das Stück. Und geht als tragischer Held (Daniel Rothaug) mit moralischer Inbrunst die Aufgabe an, den Papst von Gersteins Anliegen zu überzeugen. Er scheitert. Macht sich nackig. Malt einen Judenstern auf seine Brust. Flüchtet in den Märtyrerwahn und geht mit jüdischen Deportierten ins KZ. Beklemmender
Aufführungshöhepunkt ist dann die Diskussion des in seinem Glauben verzweifelnden, sich schmerzhaft krümmenden Priesters mit dem stolzgerade ungläubigen Doktor (Mengele). Sie fragen sich: Wenn Papst und Gott bei der Judenvernichtung tatenlos zusehen, welchen Sinn hat da noch die Institution Kirche zur Bewahrung christlicher Werte? Und ist der Allmächtigen dann nicht schlicht überflüssig – oder gar nicht? Einfach tot? Hat nie existiert? „Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf sind widerlegt durch Auschwitz“, sagt der Doktor. Die Argumentation ist natürlich nicht neu, wird in Münster aber packend, wie frisch gedacht vorgeführt.
Der personifizierte Feind von Hochhuths antiklerikalem Furor kommt hingegen kaum noch vor. Dann allerdings in einem verstörend schönen Bild: Während Pius XII. mit windelweicher Rhetorik einen nichts sagenden Friedensappell formuliert, regnet Asche auf ihn herab. Seine Adjutanten, fast genauso eitel und antisemitisch wie anfangs die Nazis, erläutern die Gründe fürs beharrliche Raushalten. Als Oberhirte könne der Papst sich nur auf der Seite der Sieger um seine Schäfchen kümmern. Da die Christenheit vom Bolschewismus bedroht sei, müsse Russland aus Europa ferngehalten werden, wozu man Hitler brauche. Und um ihm die Leben wenigstens einiger Tausend Juden abzutrotzen, dürfe er nicht mit kritischen Äußerungen verärgert werden. Eine an Selbstverleugnung grenzende Politik. Aber so laufe Diplomatie nun mal. Andererseits habe das Reichsonkordat 1933 den Diktator erst salonfähig gemacht …
Dank dieser präzisierenden Digest-Fassung der hochuthschen Wortschwälle, die auch den Tribunalcharakter mildert, und mit der formal gebändigten, emotional aber punktuell hochkochenden Inszenierung erweist sich das Werk als gut spielbares Thesentheater über Macht und Verantwortung. Begeisterte Zustimmung für alle – auch für den anwesenden Autor.