Foto: Franz J. Csencsits, Fabian Stromberger (Die Unschuldigen), Felix Strobel (mein Doppelgänger), Christopher Nell („Ich“), Hermann Scheidleder, Hans Dieter Knebel, Krista Birkner (Die Unschuldigen), Martin Schwab (Der Wortführer), Maria Happel © Monika Rittershaus
Text:Hartmut Krug, am 28. Februar 2016
„Kommen lassen. Anfliegen lassen. Träumen lassen. Hellträumen. Umfassend träumen. Verbindlich! Freiträumen. Wen? Mich? Uns?“ Mit diesen Worten ruft sich ein Mann, der allein, mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne steht, seine Welt herbei. Peter Handke nennt diese Figur „Ich“, je nach ihrem Verhalten wechselnd zwischen „Ich, der Erzähler“ und „Ich, der Dramatische“. In weitem Schwung führt eine Straße über die leere Bühne. Sie ist außer Betrieb, und während Ich, der Erzähler sie beschreibt, fährt krachend eine Art demolierter Haltestelle aus dem Boden. Kein Unterstand, aber doch ein Platz, auf dem er sich niederlassen und wie ein Wächter auf die Menschen warten kann. Die anders sind oder denken als er und von Handke als die „Unschuldigen“ bezeichnet werden. Während Ich wartet, denkt er über sich und die Welt, über den Sinn des Lebens, über Alter und Tod nach und durchlebt dabei die vier Jahreszeiten. Handkes neues Stück ist über weite Strecken eine Art räsonnierender Lebenssinn-Monolog. Bei der Lektüre dieses 180 Seiten umfassenden Textes, der mit viel Redundanz und manchmal angestrengt poetischer Befindlichkeitsprosa dahinfließt, fällt es schwer, darin ein Theaterstück zu entdecken. Doch Regisseur Claus Peymann gelingt das Kunststückes, der Schwere und Bedeutsamkeit des Textes, der voller literarischer Anspielungen steckt, mit einer unaufgeregten Lockerheit zu schwungvollem Theaterleben zu verhelfen. In Christopher Nell, in dessen Rolle des Ich viel von Handke selbst steckt, besitzt er einen großartigen Hauptdarsteller. Mit beweglicher Körpersprache und komödiantischem Ernst bedient er Handkes Bedeutungstexte und lockert sie zugleich auf. Anfangs mit etwas monoton mit ausgebreiteten Armen und gen Himmel gewandtem Kopf wie ein Verkünder. Doch schnell entwickelt sich der auch gesanglich überzeugende Nell immer mehr zu einem Figurendarsteller und Figurenbefrager.
Wenn endlich die anderen einzeln oder in Gruppen kommen, ignorieren oder beschimpfen sie ihn, besonders heftig die komödiantisch konzentriert überdrehte Maria Happel als Wortführerin der Unschuldigen. Der einzelne, der kritisch gegenüber den anderen ist, weil die ihm zu sehr auf Wirtschaftlichkeit und ein klares Lebenssystem bauen, dieser einzelne wirkt für die Unschuldigen als Sonderling, ja als Idiot. Dann wieder toben sie als aufgeregte Schar an ihm vorbei, die alle allein mit ihren Handys beschäftigt sind. Die Unbekannte, von der Ich dachte, sie habe ihn immer im Auge gehabt, erweist sich in der Darstellung der ganz in Schwarz gekleideten Regina Fritsch eher als eine Art Todesengel. Sie redet mit ihm über die Natur und die Vogelwelt und stimmt ihn auf das Lebensende ein. Vor allem aber setzt sich Ich mit dem Wortführer der Unschuldigen auseinander, der ihm vorwirft, er wolle stets, dass alle wie er sein und handelten. Dabei suchen auch die anderen, allerdings in einer überdehnten nächtlichen Szene nach Regeln, nach denen sie ihr Leben gestalten wollen. Hier bleibt Handke eher vage, politische Haltungen werden nicht benannt. Die Unschuldigen lassen einen Wirbel von Zetteln mit Hinweisen und Wünschen zurück, denn sie sind nicht böse, sondern wissen nur nicht, was sie tun soll. Ich klaubt etliche Zettel auf und trägt deren Texte vor. Während Martin Schwab, als Wortführer der Unschuldigen ein Kraftquell der Inszenierung, seine Vorstellung von einem richtigen Leben immer wieder heraus posaunt: