Das ist ja der Kern des Stücks – Weston hat sich umgebracht (was – wie wir als gröbste Schlusspointe erfahren – von der Ehefrau hätte verhindert werden können), und die drei Töchter samt Anhang sowie die Schwiegerfamilie der Schwester der Witwe erleben ein Inferno aus Erinnerung – Violet Weston legt alle offenen Rechnungen auf den Tisch, verletzt und erniedrigt jeden und jede, kennt alle geheimen Zerwürfnisse, weiß zum Schluss sogar um den unehelichen Bruder der drei Schwestern, den der tote Gatte mit der Schwägerin zeugte. Das Stück wird zur offenen Feldschlacht der „Hollow-Men“, der Vogelscheuchen aus Eliots mehrfach zitiertem Gedicht. Das stiftete bekanntlich Präsident Reagan letzte Worte zum Untergang der Sowjetunion – „not with a bang, but with a whimper“.
So endet die Welt; nicht mit dem großem Knall, sondern mit leisem Wimmern. So endet auch die Welt dieser Familie; Witwe Violet, die sich als Stärkste von allen erwiesen hat (und von Tochter Barbara sogar die schrecklichen Pillen zurück bekommt), wimmert nach den Kindern – um sich schließlich auf den Schoß von Sängerin Teussink zu flüchten, die „Gracias a la vida“ von Mercedes Sosa anstimmt. Vielen Dank, liebes Leben – so zynisch kann nur dieses Stück enden. Keine Geschichte in dieser Familie ist heil geblieben; keine Zukunft mehr, nirgends.
Alize Zandwijk zeigt grandiose Einzelporträts, etwa die aller Töchter: Nadine Geyersbach, die stets mit schwer ausgreifenden Schritten wie ein Reptil die Bühne durchquert; Annemaaike Bakker als Riesin auf mörderisch hohen Plateau-Sohlen (sie kam aus Holland fest nach Bremen und erhielt hier schon den Kurt-Hübner-Preis); schließlich Fania Sorel – Bremen kann sich glücklich schätzen, wenn diese extrem intensive Schauspielerin in der nächsten Saison fest ins Ensemble kommt, mit Zandwijk als Chef-Regisseurin des Hauses. Aber auch die Männer sind stark besetzt: Alexander Swoboda (das ist der Schwestern-Lover, der sich die blutige Nase holt, weil er sich nach gemeinsamem Kiffen an der Nichte in spe vergreifen will), Johannes Kühn und Justus Ritter, der Sohn aus der Schwieger-Familie (Susanne Schrader und Martin Baum) und geheime Bruder der drei Schwestern. Sogar für Guido Gallmann, der als Dichter Beverly nach der ersten Szene aus dem Stück verschwindet, hat Zandwijk einen klugen Gedanken – als Poliztist tritt er auf, triefend vom See, in dem der Dichter ersoff, und dann noch als gutes, böses Gespenst hinter der Witwe, als die die Totenfeier endgültig sprengt …
Im Auge des Hurrikans aber steht Verena Reichhardt – und lebt sehr schmerzhaft und sehr stark das mörderische Muttertier – diese Rolle ist eine Art Mikrokosmos für alle Handwerklichkeit und alles Talent der Schauspielerei.
Nichts weniger als ein ganz großer Theaterabend ist da entstanden im schiefen blauen Bühnenhaus von Thomas Rupert, in dem oben schon der Riss klafft, der bald alles zerstören wird. Zandwijk gibt ein Versprechen mehr für die nächsten Jahre in Bremen … und vielleicht verirrt sich ja doch mal ein Juror fürs „Theatertreffen“ nach Bremen und in ein „wellmade“-Stück wie dieses.