Auf der Bühne wurde E.T.A. Hoffmanns „Klein Zaches, genannt Zinnober“ erzählt. Womit die große Qualität dieses Abends eigentlich bereits beschrieben ist. Hier wird bewusst erzählt, enthusiastisch, feurig und mitreißend theatralisch. Alle Komponenten, die Musik und deren Umsetzung, Inszenierung und Darstellung, Bild und Szene, Ton und Licht, kommen perfekt und fugenlos unter dieser Prämisse zusammen. Die Steampunk-Band Coppelius (Gesang, Cello, Kontrabass, Schlagzeug und zwei Klarinetten!) hat eine Zitatenmaschine geschaffen, in der nichts selbstzweckhaft daherkommt. „La Nozze di Figaro“ trifft da auf James Bond, Wagners hier grotesk verhüllte „Götterdämmerungs“ – Weltuntergangsfantasien werden mit Queens „We will rock you“ vorbereitet. Dabei ist die brillante, von Thomas Rimes brillant geleitete Crossover-Melange nicht darauf aus, Bildung abzusondern und einzufordern. Sie verortet schlicht das Geschehen – historisch und emblematisch.
Das Orchester sitzt auf der Hinterbühne. In der Mitte fährt die Band, deren Mitglieder zusätzlich etliche Rollen spielen, rauf und runter. Über ihnen hat Britta Tönne ein gigantisches Zahnrad aufgehängt, ein Symbol der Industrialisierung, das Symbol der Steampunk-Bewegung. Und vorne hat Rüdiger Frank sein Labor. Der nur 134 Zentimeter große Schauspieler gibt nicht nur den Titelhelden, der, dumm und hässlich, von einer Fee als begehrenswertes Liebes- und Renommierobjekt verkleidet wird – mit für viele, besonders aber für Zaches selbst, schrecklichen Folgen. Frank gibt auch den Autor selbst. Am Anfang reißt er sich das Herz aus der Brust, vergießt buchstäblich sein Herzblut, um die Geschichte in Gang zu setzen. Am Ende kriegt er sein Herz nicht zurück – romantische Ironie in seltener Klarheit. Coppelius, auch der Name ist E.T.A. Hoffmann entliehen, werfen ein Netz solcher klaren, aus dem kulturellen Umfeld dieser Erzählung entwickelten Momente über ihre kecke Collage und bekunden so nicht zuletzt ihren Respekt vor der Kunstgattung Oper, in deren Tradition sie sich mit „Klein Zaches“ eindeutig stellen. Beeindruckend ihre Musikalität, Wandlungsfähigkeit, Disziplin. Beeindruckend wie Sebastian Schwab dieser Klarheit epischen Atem einhaucht und Gestalt verleiht, beeindruckend wie die Neue Philharmonie Westfalen von der Hinterbühne aus präzise mitgestaltet. Auch hier: nichts schwammig oder selbstverliebt. Der Orchesterpart dient freudig der Erzählung. Wie der Raum von Britta Tönne mit seinen rauf und runter fahrenden Kabinetttüren, den vielen Metallrohren und -objekten, vom alten Fahrrad bis zum zur Fernbedienung verfremdeten Transistorradio. Beeindruckend der allgegenwärtige, nie altbacken wirkende Retro-Theaterzauber, der vielen Zuschauern den staunenden Kinderblick zurück schenkt. Beeindruckend nicht zuletzt der musikalische, ungeheuer präsente Schauspieler Rüdiger Frank und die Rollschuh und Tretroller fahrende, durch die Luft fliegende über den Boden kriechende und dabei stets herrlich singende Sopranistin Ulrike Schwab.
Seit drei Jahren verfolgt Intendant Michael Schulz die Idee, dieses wilde Wagnis in die Tat umzusetzen. Wenn dem Steampunker etwas gefällt, brüllt er hinterher „Weiter so!“. Man darf sich anschließen.