Foto: Szene aus "Der Boxer" mit Kilian Bühler, Walter Bittner und Sebastian Baumgart © Nik Schölzel
Text:Martin Bürkl, am 9. November 2015
Zwei Schlagzeuger sitzen einander gegenüber, teilen sich die Basstrommel und ein waagerecht aufgehängtes Becken in ihrer Mitte. Um sie herum noch Hi-Hats, kleine Trommeln, Standtom und Elektronik: Sample-Pads und Laptop.
Musik und Interaktion von Walter Bittner und Kilian Bühler sind das Spannendste an diesem Abend im Augsburger Hoffmannkeller, zwei Stockwerke unter der Straße. Das alte Tonnengewölbe ist die kleinste Spielstätte des Theaters. In diesem Schlauch sitzen die Besucher an einer Längsseite, während Sebastian Baumgart auf- und abmarschiert. Manchmal fragt er mit dem Mikro direkt ins Publikum, versucht dem sehr statischen Setting etwas Lebendigkeit abzuringen, während auf die rohen Ziegelsteine hinter ihm schwarzweiße Zeichnungen projiziert werden.
„Der Boxer“ handelt vom wohl ziemlich wahren Leben Hertzko Hafts, einem polnischen Juden, der ab dem 15. Lebensjahr mehrere Arbeits- und Konzentrationslager überlebt hat – weil er von einem Mitglied der SS protegiert wurde, 76 von den Wachen inszenierte Boxkämpfe gewonnen hat und ganz besonders, weil der zum „jüdischen Biest“ dressierte ein Opportunist schlechthin wurde. Er überlebt Todesmärsche, schlägt sich skrupellos im Hinterland durch und schafft es schließlich nach New York, wo er eine kurze aber heftige Profi-Boxkarriere beginnt. Gescheitert, gebrochen und traumatisiert lebt der gewalttätige Vater schließlich vom Obsthandel.
Wie bringt man diesen preisgekrönten Comicroman („graphic novel“) auf die Bühne, der 2011 zuerst in Episoden in der Frankfurter Allgemeinen erschienen ist? Ein dichtes, ambitioniertes (und darin erfolgreiches) Buch nach dem Roman eines heute noch lebenden Haft-Sohns. In Augsburg gibt es also ein Theaterstück unter der Regie von Susanne Reng nach einem Comicroman von Reinhard Kleist nach einem Buch von Alan Scott Haft nach den autobiographischen Erzählungen seines Vaters. Ein Theaterstück? Nein, das ist kein Theaterstück, auch nicht, wenn man beide Augen zudrückt. Mit Spannung war ich nach Augsburg gefahren, wie dort die Geschichte wohl bebildert wird, denn es standen „Visuals“ im Programm. Werden es historische Aufnahmen aus Konzentrationslagern sein oder abstrakte Bilder? Bleibt man der Schwarz-Weiß-Ästhetik der Vorlage treu oder kontrastiert man die bittere, traurige Geschichte mit eigenen bunten Farbwelten? Dass die Projektionen schließlich rein aus den teils drastischen Originalzeichnungen von Reinhard Kleist bestehen und der Roman etwas gerafft von Anfang bis Ende abläuft, das hatte ich nicht erwartet.
Sebastian Baumgarts Auftritt war mit „Spoken Words“ angekündigt – unbewusst muss ich das wohl um „Poetry“ ergänzt haben, ich dachte also an Ginsberg, Burroughs und andere Beat-Poeten. Baumgart hat jedoch schlicht und einfach den Comicroman nach- und parallel zu den Projektionen miterzählt. Seine Stimme musste zwischen unzähligen Sprechrollen springen: jammernde Kinder, schreiende KZ-Aufseher, alleingelassene Frauen, Jiddisch sprechende US-Soldaten und natürlich die Hauptrolle in all ihren Facetten. Souverän war das leider nicht immer vorgetragen, dazu mit wenig zu durchschauender Systematik mal mit und mal ohne Mikrofon. Ich hatte also optisch den Comic vor mir und akustisch ein mittelmäßiges Hörbuch, das besonders langweilig wurde, weil es selbst die schwächsten Passagen der Vorlage voll ausgekostet hat: Ein Schauspieler, der einen ganzen (und gut lesbaren) Brief von der Wand abliest und diesen für das Publikum mitspricht… also mindestens ein Element ist da doch überflüssig!
Oder umständlich ausgedrückt: Es wurde ein Medienwechsel vollzogen ohne zu respektieren, dass man das Medium gewechselt hat! Keine Brechung, keine Metaebene, keine Übersetzung oder gar Metamorphose in etwas Anderes. Die spannende Arbeit der Schlagzeuger Bittner und Bühler, die seit vielen Jahren im Trio mit Kontrabass eine Mischung aus Trip-Hop, Drum’n’Bass und Jazz fabrizieren, konnte den Abend nicht retten. Oft war selbst ihre Musik zu sehr Kulisse, gerade wenn sie synthetische Maschinengewehre, Marschklänge und manchmal auch Schreie vom Band einspielten.
Das Theater Augsburg positioniert sich seit Jahren konkret politisch. Zur Inszenierung „ab 15“ gibt es von der Theaterpädagogik sehr gut aufbereitetes und äußerst umfangreiches Begleitmaterial zu Comic, Stück und historischen Hintergründen. Trotzdem sollten die Lehrkräfte lieber den Roman heranziehen!