Foto: Der Herrenchor tanzt!. Arie des Titelhelden (Mirko Roschkowski, M.) samt Doubles © Thilo Beu
Text:Andreas Falentin, am 2. November 2015
Natürlich ist einiges zu viel. Hier und da. Gags, Parallelaktionen, Bewegungsmuster. Dann passiert zu vieles auf einmal – klassische Reizüberflutung. Das Auge irrt hin und her, das Ohr schließt sich. Es entsteht Ödnis auf der Bühne. Für kurze Momente.
Als Ganzes betrachtet ist Laura Scozzis 2008 in Nürnberg entstandene, sehr lebendig aufgearbeitete Inszenierung von Berlioz‘ Opernerstling dennoch ein echter Wurf. Sie schafft es mit leichter Hand, die großformatig-statische Tableau-Dramaturgie von „Benvenuto Cellini“ nicht nur zu erfassen und auszustellen, sondern auch zu dynamisieren und so die Ausnahmepartitur gleichsam szenisch hörbar zu machen. Dafür verlegt Scozzi das seltsam augenzwinkernde Künstlerdrama aus dem 16. Jahrhundert in unsere Gegenwart, was vollkommen natürlich und ungezwungen wirkt. Vor allem wegen Berlioz‘ so spröder wie variantenreicher, einzigartiger Musik, zu der Hip-Hop-Moves noch besser zu passen scheinen als klassisches Tanzen oder Schreiten. Und wegen der formidablen Bewegungs- und Personenregie der Regisseurin, die eigentlich Choreographin ist. Schon dem Chor, der mit spürbarem Enthusiasmus bei der Sache ist, wird einiges abverlangt an Beweglichkeit und Präzision. Etwa, wenn die Herren in dessen großer Arie sämtlich den Titeldarsteller doubeln. Oder wenn der ganze Chor in der Theaterszene vor der Pause mit ulkigen gelben Perücken in ständiger Bewegung grandiose absurde Komik entwickelt, die im Publikum ein derartiges Wohlgefühl erzeugt, dass der Mord Cellinis am Schergen seines Gegenspielers genau als der Schock ankommt, als der er vom Komponisten erdacht worden ist.
Mirko Roschkowski ist dieser Freigeist, Hedonist, Ausnahmekünstler und Mörder, in der Bonner Aufführung vor allem: ein egomanischer Schelm mit unwiderstehlichem, fast innigem Lächeln ohne das gereckte Kinn des Pseudo-Helden. Ein wenig plump ist er, die kurzen Rastafari-Löckchen wirken fast lächerlich, das „live fast, die young“ – Shirt spannt über dem Wohlstandsbäuchlein. Da lebt einer vor allem gerne – und singt, besonders in der Höhe, schön und elegant. Und kriegt, was er will, weil er selbstbewusster ist als die anderen, keine Angst hat und in weniger engen Grenzen denkt. Das Personal um ihn herum seziert und ironisiert die Regisseurin, von der tuntigen Papst-Parodie aus den Untiefen des Klamauk (was bei Berlioz allerdings durchaus angelegt scheint) über den Bürokraten-Schatzmeister und sein von Anna Princeva mit saftigem Sopran einnehmend verkörpertes Tochter-Girlie bis zum coolen Lehrjungen in Armyhose und Basecap, den Marta Wryk mit umwerfend stimmfrischem Charme versieht. Und alle gehen so locker und selbstverständlich auf der Bühne mit ihren Körpern um, wie ich das in einer Opernaufführung lange nicht gesehen habe. Am Ende, wenn Cellini alles gewonnen zu haben scheint, stellt Scozzi ihn im Wortsinne auf ein Podest, zeigt, wieder mit schöner Ironie und ohne Zeigefinger, wie ihn die durch seinen Erfolg bedingte Vereinnahmung durch die Mediengesellschaft von seinem unkonventionellen Leben abschneiden wird.
Zweiter Protagonist von „Benvenuto Cellini“ ist eindeutig das Orchester. Schon in der Ouvertüre macht Stefan Blunier unmissverständlich klar, wo er hin will: stramme Tempi, knallige Dynamik, wildes Ringelreihen auf einer sehr schiefen Ebene. Das Beethoven Orchester zeigt sich der Zumutung gewachsen, die vielen Soli werden inspiriert gespielt, die vielen Effekte verblüffen, der Tutti-Klang kommt allerdings etwas schroff und sachlich daher. Nach der Pause funkelt dann alles, versprühen Dirigent und Orchester verschwenderisch Charme und Poesie, spinnen ihr trocken-dramatisches Garn mit begeisternder Selbstverständlichkeit.