Foto: Szene aus "Ich schaue dich an / Je te regarde" am Theater Freiburg © Maurice Korbel
Text:Björn Hayer, am 18. Oktober 2015
Realisiert sich mit der Netzwerkgesellschaft endlich der große Traum einer gewachsenen Menschheitsgesellschaft? Welche Form von Nähe erzeugt die Echtzeitkommunikation der neuen Medien? Wie Alexandra Badeas Stück „Ich schaue dich an / Je te regarde“, das just in Freiburg im Breisgau unter der Regie von Jarg Pataki uraufgeführt wurde, herausarbeitet, sind die Welten jenseits der schimmernden Bildschirme zwar visionär, aber keineswegs erstrebenswert.
Wir schauen auf ein steriles Paradies: Während ein Quartett aus zwei Frauen (Marie Bonnet, Mila Dargis) und zwei Männern (Matthias Breitenbach, Božidar Kocevski) am Fließband eines weiß gekachelten Raums auf Anweisungen aus dem Off wie „Working“, „Creativity“ oder „Sleeping“ wartet, stehen in den drei Vitrinen des Bühnenraums ihre Avatare für neue Inputs bereit oder treiben bisweilen ein seltsames Eigenleben. Immer wieder bestimmen verkehrterweise die maschinellen Doppelgänger das Leben ihrer Nutzer und passen deren Mimik und Gestik an – zumal die als weiße Puppen dargestellten Bildschirmrepräsentanten zunehmend zum einzigen Bezugspunkt eines von Einsamkeit und Egozentrierung gezeichneten postmodernen Lebensraums avancieren. Obwohl die vier Protagonisten gemeinsam ihre Arbeitszeit zubringen, bleiben sie alle für sich und gehen in jeder erdenklichen Minute ihren Überwachungsobsessionen nach: Eine eifersüchtige Ehefrau bedient sich sämtlicher Spyware, um ihren Mann zu überwachen, eine Gefängniswärterin wird hinter den Überwachungsmonitoren von ihren Gefühlen für einen Häftling überwältigt, ein Manager sucht das echte Erfahrungsmoment in der Liebe zu einer Unbekannten aus dem Internet, derweil ist ein Sicherheitsangestellter des Flughafens gänzlich mit den neuen Kontrolltechnologien überfordert. Was wir erleben, sind mehrere Handlungen, die im Vorstellungsraum Cyberspace nebeneinander herlaufen und sich manchmal überlappen. Sehnsüchte, die hochkommen, und von Netzwerken abgegriffen werden, Hoffnungen, die sich trotz der glänzenden Medienkosmen nicht erfüllen.
Nur selten hat man eine Aufführung gesehen, die so bilder- und anspielungsreich die Gegenwart und nahe Zukunft zu vermessen weiß. Patakis Arrangement erweist sich als hochcodiert und jongliert spielerisch mit Baudrillards Simulakra-Theorie und Byung-Chul Hans Fortschreibung der Foucault’schen Disziplinargesellschaft. Das Ende steht dabei von Anfang an fest: In diesem sterilen Setting siegt die Maschine, während alle Figuren glauben, dass sie mit deren Hilfe Freiheit und Glück fänden. Dass das postdramatische derart überzeugend Spektakel gelingt, verdankt sich auch dem meisterhaften Bühnenbild von Sabina Moncys: Klug dekliniert sie Baudrillards Gedankengänge durch, indem sie die mit künstlichen Pflanzen besetzten Glaskästen, die von Avataren gesteuert werden, als die eigentliche Realität präsentiert. Die Wirklichkeit wurde eben längst durch ihr Abbild ersetzt.