Foto: "Les Contes d'Hoffmann" an der Komischen Oper © Monika Rittershaus
Text:Wolfgang Behrens, am 3. Oktober 2015
Wie oft hatten wir das jetzt schon, dass irgendwo eine Produktion von „Hoffmanns Erzählungen“ herauskam unter dem Label: „jetzt noch authentischer“. Und, ja, die ewige Baustelle „Hoffmann“, dieses letzte und nicht mehr fertiggestellte Werk von Jacques Offenbach, bietet sich für immer neue, noch näher am (wo auch immer) überlieferten Material bleibenden Fassungen regelrecht an: Die „Hoffmann“-Philologie ist ein Fass ohne Boden. Auch die Komische Oper Berlin ist nun in dieses Fass gestiegen, und auch sie wartet mit einem Coup auf: Erstmals wird Hoffmann nun von einem Bariton gesungen, so wie es Offenbach irgendwann einmal – Entschuldigung: ursprünglich natürlich – geplant hatte. Dominik Köninger fällt so die Aufgabe zu, noch einmal ein Uraufführungs-Hoffmann zu sein, und da er über ein sehr warmes, äußerst angenehmes hohes Register verfügt, werden auch die Tenor-Aficionados nicht allzu sehr gelitten haben.
Köninger singt aber nur zwei Akte lang, dann tritt der Tenor Edgaras Montvidas auf den Plan, um Antonia und Giulietta wieder mit dem gewohnten Schmelz zu betören: Hoffmann ist in dieser Produktion multipel. Und da aller guten Dinge drei sind, kommt noch der Schauspieler Uwe Schönbeck hinzu, der die gestrichenen Dialoge durch eingestreute Erzählfragmente E.T.A. Hoffmanns ersetzt. Schon daran kann man sehen, dass die Philologie und das Authentizitätsbedürfnis hier letztlich nur ein Deckmäntelchen sind, wohl auch eine Art Publicity-Gag: Um eine integrale oder gar ursprüngliche Werkgestalt ist es Barrie Kosky und seinem Team zuallerletzt zu tun. Stattdessen bietet Kosky eine Art „Hoffmann“-Fantasie: Sein Erzähler sitzt zu Beginn in einem Flaschenmeer und visioniert sich über E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Don Juan“ in den ersten Akt hinein – schon die angebetete Sängerin Stella ist nur das Produkt seiner Einbildung, das in den Studenten der Lutter’schen Weinstube vervielfacht und reifberockt wiederkehrt. Die ersten Töne aus dem Orchestergraben stammen so auch nicht von Offenbach, sondern aus Mozarts „Don Giovanni“-Ouvertüre: Gespielt wird gewissermaßen E.T.A. Hoffmanns „Don Juan“ mit der großen Parenthese „Hoffmanns Erzählungen“.
Diese Ausgangsidee ist durchaus gewitzt – und gewitzt ist auch die ganze Produktion. Katrin Lea Tag hat ein frei schwebendes, bewegliches und stimmungsvoll ausgeleuchtetes Quadrat, einen fliegenden Teppich der Hoffmann’schen Fantasien, schräg in den Raum gehängt, auf, vor und unter dem sich ein hochgradig geschickt und gefällig arrangiertes Treiben entfaltet. Da hibbeln und wippen Chor und Statisterie im Offenbach’schen Takt, dass es eine Freude ist, da darf man im Olympia-Akt wundersame, im selbstgenügsamen Tinguely-Modus operierende mechanische Apparate bestaunen, da eilen im Antonia-Akt ganze Horden zombieartig vor sich hin geigender Mütter herbei, um ihrer Tochter alptraumatisch mit den Bögen über Kehle und Körper zu streichen. Das ist hochunterhaltsame Hochglanz-Oper, wogegen nichts und wofür einiges spricht.
Das Orchester unter Stefan Blunier spielt dazu schmissig auf, verliert sich nur manchmal etwas im Lärmigen, um an anderer Stelle etwas von der Offenbach’schen Fedrigkeit vermissen zu lassen. Unwiderstehlichen Drive nimmt die Aufführung aber dann auf, wenn Nicole Chevalier in den diversen Hoffmann‘schen Frauenprojektionen die Bühne entert. Wie sie als Olympia in einem Varieté-Zauberkasten steckt, der nur ihren Kopf hinter einem Vorhang erscheinen lässt, während aus Schubladen allerlei fremdgesteuerte Hände hervorfingern, wie sie dabei die aberwitzigsten Schnuten zieht und noch zwischen ihren Koloraturen überschnappende Fiepgeräusche zu platzieren vermag, das ist ein so noch kaum je gesehenes Bravourstück sängerdarstellerischer Komik. Umso eindrücklicher, wie sie dann ihre Antonia als ganz in sich Verlorene anlegt und schließlich die Kurtisane Giulietta – auch nicht unkomisch – sexuelle Akte in stimmlicher und körperlicher Engführung ausüben lässt. Nicole Chevalier gelingt hier wahrlich ein Parforceritt der Wandlungsfähigkeit.
Die Gegengestalt zu Chevaliers famosen Frauenfiguren sind nicht eigentlich die singenden Hoffmänner, sondern der schauspielende von Uwe Schönbeck. Er schnaubt, röchelt, gurgelt und kichert sich durch seine Rolle, dass man sich mit Grausen abwenden möchte. Schönbeck porträtiert den Dichter als altes, lächerliches Weinfass, dessen eigene Realität von seinen Fantasien kaum weiter entfernt sein könnte. Das Konzept dahinter ist leicht zu verstehen, was das Chargieren Schönbecks allerdings kaum erträglicher macht. Ganz am Ende wird Schönbeck – während er mit Karolina Gumos noch das „La ci darem“-Duett aus „Don Giovanni“ krächzt – eingesargt. Aus dem Sarg heraus spricht er dann noch ein paar Sätze aus dem Hoffmann’schen „Don Juan“, darunter: „Es ist doch fatal, dass wir nun so bald keine ordentliche Oper mehr hören werden! Aber das kommt von dem hässlichen Übertreiben!“ Dem ist nichts hinzuzufügen.