Foto: "Mein Kampf" auf der Bühne © Candy Welz
Text:Hartmut Krug, am 4. September 2015
Vor neun Jahren hat die Theatergruppe Rimini Protokoll acht Personen vor und in einem Bücherregal agieren, sich über „Das Kapital“ von Marx austauschen lassen. Wie immer bei Rimini Protokoll waren es „Experten des Alltags“ genannte Laien, die sich da über das Geld, über Marx und über Gewinn und Verlust austauschten.
In Weimar stehen nun vor der Rückwand dieses Bücherregals sechs Menschen und reden über ihr Wissen von und ihr Verhältnis zu Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“. Hitler liebte die Stadt Weimar. Hier hatten die Nazis im Juli 1926 im Deutschen Nationaltheater ihren ersten Reichsparteitag abgehalten, und die Stadt wurde zur Hochburg der NSDAP.
Diese Regalrückwand ist vieles: Videowand, Aufbewahrungsort für viele Bände von „Mein Kampf“ und ein zu- und aufklappbares Bewegungselement für ein eher assoziatives statisches Suchspiel. Wobei Rimini Protokoll es diesmal deutlich schwer hat, all das Zitieren, Erinnern, Nachdenken und Recherchieren in eine spielerische Form zu bringen. Da wird eine Art „Reise nach Jerusalem“ mit „Mein Kampf“-Bänden gespielt, oder jemand sagt Stopp, während das Alphabet läuft, und dann erzählt er zum Beispiel etwas zum Begriff „Volksverhetzung“, wenn beim Buchstaben V gestoppt wurde. Insgesamt sechs Personen erzählen von ihrem Verhältnis zu Hitlers Kampfschrift. Wobei nicht sofort in der Ich-Form erzählt wird, sondern erst nach einer Aufforderung durch einen Stichwort gebenden Mitspieler wie „Du hast doch das gemacht“. Was eine Distanz zu Hitlers Text verdeutlichen soll, führt allerdings zu einem eher hölzernen Aufsagen.
Sibylle Flügge, Professorin der Rechtswissenschaft, wird darauf angesprochen, dass sie nach der sorgfältigen Lektüre von „Mein Kampf“ einen Hefter mit einer komprimierten Fassung des Werkes hergestellt und ihrer Mutter zu Weihnachten 1965 geschenkt hat. Worauf der türkische Hip-Hop-Musiker Volkan T Error ein elektronisch verzerrtes „Stille Nacht, Heilige Nacht“ beisteuert und Sibylle Flügge erklärt, dass im ersten Band Hitler vor allem Kindheitserfahrungen als politische Motivation beschreibt. Aber sie verdeutlicht auch die manchmal unfreiwillige Komik des Textes: „’Die Masse des Volkes hat den Charakter einer Frau, die verführt werden muss‘, kann man da lesen. Da habe ich ein anderes Frauenbild.“
Vor allem aber werden Fakten vermittelt. Dass man „Mein Kampf“ besitzen und lesen darf, es aber nicht weiter verbreiten darf, wird spielerisch von der Rechtsanwältin Anna Gilsbach verdeutlicht. Man erfährt von der Unmenge von fremdsprachigen Ausgaben des Werks, so gibt es allein in Indien über 30 unterschiedliche Ausgaben, auch eine Manga-Version existiert.
Es wird darüber nachgedacht, wo all die Millionen deutscher Bände eigentlich nach dem Kriege geblieben sind, und darüber, wie viel Tantiemen Hitler mit seinem Buch einstrich. Aron Kraus aus Tel Aviv, dessen Großeltern knapp dem Holocaust entkamen, hat das Buch seit seinem Studium oft gelesen. Er berichtet, dass ihn Hitlers Buch, weil es darin um Durchsetzungsfähigkeit geht, zur Leistung angespornt habe. Aber auch, das er mit dem Buch deutsche Mädchen angebaggert habe. In einem Reanactment wird eine Knessetdebatte nachgesprochen, in der es um die Möglichkeit einer israelischen Ausgabe von „Mein Kampf“ geht. So erzählt dieser Abend, der vor allem eine Materialsammlung ist, die unterschiedlichsten Möglichkeiten, mit Hitlers Buch umzugehen. Und in den biographischen Erzählungen werden auch einige Verbindungen zu linken wie rechten Radikalisierungen verdeutlicht.
Es ist ein verdienstvoller Abend, aber kein großes Theater. Der zweistündige Abend besitzt allzu viele Längen und etliche Spannungslöcher, dazu aber auch neben manchen Lehrstellen (mit H) auch Leerstellen (mit zwei E).