Foto: Szene aus Peter Konwitschnys Inszenierung von Wolfgang Rihms "Die Eroberung von Mexico" bei den Salzburger Festspielen mi Bo Skovhus als Cortez und Angela Denoke als Montezuma. © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Text:Joachim Lange, am 28. Juli 2015
Von den drei Bühnen im Salzburger Festspielbezirk ist das Große Festspielhaus noch am ehesten dem repräsentativen Selbstverständnis der Festspiele aus der Karajan-Zeit verpflichtet. Das Kleine hat sich als Haus für Mozart architektonisch verjüngt und programmatisch akzentuiert. Die Felsenreitschule aber mit ihrer in Stein gehauenen Arkaden-Kulisse sollte man mittlerweile als Haus für die Moderne bezeichnen. Diverse Uraufführungen und spektakulär gelungene, auch beim Publikum erfolgreiche Produktionen von zentralen Werken Luigi Nonos oder Bernd Alois Zimmermanns haben es dazu gemacht. „Die Eroberung von Mexico“, mit dem das einstige Hamburger Erfolgsgespann Peter Konwitschny und Ingo Metzmacher jetzt die Salzburger Eröffnungspremiere herausbrachte, gehört in diese Reihe.
Ingo Metzmacher beherrscht diesen Raum wie kein Zweiter. Bei ihm wird „Die Eroberung von Mexico“ zu einer Eroberung des Raumes durch den Klang. Eigentlich durch ein Klangtheater. Man wird hineingezogen, davon umspült, gefangen genommen, fasziniert. Metzmacher hat diesen Raum im Gefühl, er füllt ihn aus, gewährt ihm die Rolle eines Partners im Dialog mit den Musikern des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, die im Graben auf drei separaten Podien im Zuschauerraum und im Bühnenbild verteilt sind. Und die Musik hat bei diesem 1992 uraufgeführten „Musiktheater nach Antonin Artaud“, zu dem der Komponist auch das Libretto selbst verfasst hat, den wichtigsten Part. Sie berührt auch da unmittelbar, wo der Text ins Lautmalerische gleitet, ins Poetische abhebt, also in seiner assoziativ surrealen Bruchstückhaftigkeit auf seiner Autonomie besteht und sich einem schnellen Zugriff entzieht. Das fängt an mit einem raumfüllenden gewittrigen Grummeln zu Beginn, nutzt die Suggestivkraft rhythmischer Crescendi, eskaliert in grandiosen Ausbrüchen, illustriert aber auch Vereinsamung mit Streichersoli. Das ist durchweg packend, überrascht oft, trägt die Kantilienen der Sänger. Dann aber schwappt leitmotivisch immer wieder das Artraud-Zitat „Neutral. Weiblich. Männlich“ durch das Stück und scheint sich dem Bezug zu der historischen Begegnung des spanischen Conquistadoren Cortez und des Aztekenfürsten Montezuma, den beiden zentralen Protagonisten des Werkes, zu verweigern.
Nun könnte man den Bezug zur Geschichte der kolonialen Expansion Europas als deutlichen Wegweiser für die Szene in Richtung Mexico-Folklore verstehen. Und kräftig in den entsprechenden Bilder-Vorrat langen. Es gibt tatsächlich einen mexikanischen Teppich im IKEA-Wohnzimmer, eine Flasche Tequila im Regal und ein Bild von Frida Kahlo überm Sofa. Aber das ist bei Ausstatter Johannes Leiacker nicht mehr als ein ironisches Augenzwinkern. Regie-Altmeister Peter Konwitschny folgt nur indirekt dem Reiseführer in Richtung Neue Welt, um dort dem Zusammenprall mit den Eroberern aus der Alten zu untersuchen. Das moderne gutbürgerliche Wohnzimmer mit den versprengten Mexico-Interieurs schwebt über einem gigantischen, die ganze Bühne ausfüllenden Autofriedhof. Das ist natürlich ein politisches Statement.
Aber dann macht Konwitschny, was er in seinen besten Arbeiten immer gemacht hat. Er sucht nach den patriarchalischen Überformungen des Menschlichen. Nach dem Verhältnis der Geschlechter, das von männlicher Machtausübung seiner Entfalungsmöglichkeiten beraubt wird. Er findet bei Rihm eine so eindeutige Reise-Vorlage, weg von aller Mexicofolklore, die selbst den Komponisten verblüffte. Bei dem ist nämlich Montezuma eine Sopranistin, für die Angela Denoke die Idealbesetzung ist. Cortez ist ein Bariton, den wiederum Bo Skovhus mit jeder Faser überzeugend ausfüllt. Und so erleben wir die vom militant Zerstörerischen der europäischen Expansion inspirierte Konstellation zwar der Form nach auf die Szenen einer Ehe reduziert, aber zugleich in einen größeren, exemplarischen Zusammenhang gespiegelt.
Er kommt mit roten Rosen zu ihr. Wirbt, überwältigt sie. Sie lässt sich auf ihn ein. Bald brechen männlicher Eroberungswillen durch und Konflikte auf. Die beiden weiblichen Solostimmen eilen als Unterstützung aus dem Graben herbei. Er protzt mit einem knallroten Luxus-Cabrio. Männliche Erobererhorden im Anzug stürmen aus dem Zuschauerraum auf die Bühne und fallen wie wildgeworden über die Frauen her. Nicht nur Metzmacher, auch Konwitschny erobert den ganzen Raum. Sie wiederum hält bei einem Streifzug durch die Reihen auch den Zuschauern die Fixierung aufs Gold vor und gibt vor den Männern mit dem Aufmarsch weiblicher Reize an. Konwitschny ist mit seinem klug durchdachten und passgenau aus der Musik entwickelten Totaltheater (wie schon bei seiner „La Juive“-Inszenierung vor kurzem in Gent) in alter Hochform. Mit erstaunlich viel Witz. Wie bei der Geburt des Virtuellen, bei dem die Frau eine Kollektion von Smartphones und Laptops gebiert. Das ist der Auftakt für eine von fettfilm beigesteuerte Bilderflut von War-Games, in die sich Cortez so hineinziehen lässt, dass er gar nicht merkt, wie ihm seine Frau abhanden kommt und nur noch eine leere Hülle zurücklässt, über die er sich dann hermacht. Das wirkt weder aufgesetzt noch albern, sondern gerade so, als könnte es nicht anders sein.
Erstaunlich nur (und einziger Wermutstropfen), dass sich der Regisseur auf eine Pause eingelassen hat, was den aufgebauten Spannungsbogen unterbricht. Am Ende ist das A-cappella-Duett der beiden längst Toten auf dem Sofa im Dunkeln ein Verlöschen. Oder doch ein Funken Hoffnung? Man weiß es nicht. Wolfgang Rihm und auch Ingo Metzmacher sind feste Salzburger Größen. Auch wenn Peter Konwitschny reichlich spät und von seinem alten künstlerischen Partner Ingo Metzmacher angeregt nur als Ersatz für Luc Body zu seinem Salzburgdebüt kam, so war auch er ein Glücksfall für diesen Festspielauftakt. Alles was noch kommt, wird es schwer haben da mitzuhalten.