Foto: "Der ferne Klang" am Nationaltheater Mannheim. Edna Prochnik, Cornelia Ptassek © Hans Jörg Michel
Text:Konstanze Führlbeck, am 13. Juli 2015
Die zerrissene und an sich selbst scheiternde Künstlerpersönlichkeit, die die Musik als erfüllende wie als zerstörerische Kraft erlebt – ein Topos der Romantik –, ist das Thema von Franz Schrekers Oper „Der Ferne Klang“, die Tatjana Gürbaca am Nationaltheater Mannheim inszeniert hat. Dabei legt die Regisseurin den Fokus auf die einzelnen Etappen dieses Prozesses und seine Entwicklung und hebt sehr präzise und durchdacht die spiegelbildliche Struktur der beiden ersten Akte hervor. Zu Beginn zeigt die große, fast leere Bühne in der Szenerie von Marc Weeger ein schäbiges Blockhaus inmitten von ländlichen Videoprojektionen, die kleinbürgerliche Enge tritt zunächst hinter dem Naturidyll zurück. Hier erlebt Fritz mit Grete, in mädchenhafter Anmut und mit schlank geführter, doch klangschöner und höchst ausdrucksvoller Stimme verkörpert von Cornelia Ptassek, seine erste Liebe. Doch nicht nur der Alkoholismus ihres Vaters (Sung Ha), der seine Tochter an den jovial-schmierigen Gastwirt (Sebastian Pilgrim) verspielt, sondern auch Fritz selbst bedroht die Beziehung: Michael Baba lässt mit expressivem dramatischem Tenor den Drang des sich in innerer Unruhe nach der Erfüllung seiner Aufgabe verzehrenden Künstlers, mit dem allerdings seine rücksichtslose Exzentrik Hand in Hand geht, neben der intelligent und überzeugend agierenden Cornelia Ptassek lebendig werden.
Deutlich zeigt Regisseurin Gürbaca auf, wie seine Entscheidung nicht nur seine Existenz beeinflusst, sondern auch auf Gretes Leben ihren Stempel drückt – sie flieht nach einer magischen Traumsequenz voller geheimnisumwobener Waldmystik in ein Bordell in Venedig. Hier setzt die umworbene Schönheit sich selbst als Preis in einem Entertainment-Wettstreit aus – eine satirische Parodie auf romantische Themen wie den „Sängerkrieg“ auf der Wartburg. Unsentimental hebt Gürbaca hervor, wie sehr Grete trotz ihrer starken Persönlichkeit und ihres Kampfes um Eigenständigkeit immer der Spielball der anderen ist, die Projektionsfläche ihrer Wünsche. Hier trifft sie auch Fritz wieder, doch als er realisiert, dass sie eine Kurtisane ist, stößt er sie von sich. Im dritten Akt scheitert die Oper des todkranken Fritz, sein „Ferner Klang“ ist noch nicht vollendet. Sehnsuchtsvoll lassen sowohl Grete als auch er in Videoprojektionen das gemeinsame Leben an sich vorbeiziehen, das sie durch Fritz’ manische Suche nach seinem Ideal verfehlt haben. Als er sich bei Grete, die er um dieses Ideals willen verstoßen hat, endlich zur Vollendung seines Werkes bereit fühlt, ist es zu spät – er antizipiert seinen Krankheitstod durch Selbstmord und stirbt einen Liebestod in Gretes Armen. Gürbacas Anspielungen auf Werke wie „Hoffmanns Erzählungen“ oder „Tristan und Isolde“ sind unverkennbar, doch subtil – und ihre Inszenierung, in der nur wenige poppige Elemente der Szenerie gelegentlich aufgesetzt wirken, passt punktgenau in die musikalischen Strukturen. Die lassen Dan Ettinger und das flexibel agierende Orchester des Nationaltheaters Mannheim in furiosen, ungemein farbig ausschattierten Klangwelten lebendig werden, in denen Realität und Rausch sich begegnen, so dass auf der Mannheimer Bühne ein atmosphärisch dichtes, mitreißendes Gesamtkunstwerk entsteht.