Foto: "Leas Hochzeit" am Schauspielhaus Bochum. Veronika Nicki, Therese Dörr, Raiko Küster © Hans Jürgen Landes
Text:Stefan Keim, am 18. Mai 2015
Das Stück spielt 1972, und in den ersten Minuten hat das Publikum einen großen Spaß daran, wie die Schauspieler in den Moden, Frisuren und Bärten dieser Zeit aussehen. Die Brillen sind groß, die Haare lang und manche Röcke mehr als mini. Lea und Nico haben zur Hochzeit geladen, für beide ist es nicht die erste. Die Ex-Partner sind eingeladen, und nicht nur deshalb ergibt sich eine explosive Mischung. Denn Lea und Nico sind Juden und Kriegskinder. Beide wurden von Ihren Eltern in Pflegefamilien gegeben, um dem Holocaust zu entgehen. Die Eltern haben dann doch überlebt, aus Zufall. Leas Pflegemutter Riet ist ebenfalls auf dem Fest. Sie hat es nicht verkraftet, dass sie das Kind nach drei Jahren zurück geben musste. Ihr Mann ist ausgewandert, sie lebt seitdem allein.
„Leas Hochzeit“ ist der erste Teil einer Trilogie, in der die niederländische Autorin Judith Herzberg ein Vierteljahrhundert im Leben einer Familie beschreibt. Ein großes Ensemblestück, das fast zu opulent scheint für die Bochumer Kammerspiele. Maze de Boers Bühnenbild zeigt einen je nach Gefühlslage samt- oder blutroten Salon, in dem sich die Begegnungen abspielen. Während ein irgendwie surreal wirkender junger Entertainer (Torsten Flassig) via Filmprojektion einspielt, was im Partysaal nebenan passiert, Reden, schwitzige Witze, Karaoke.
Es gibt viele ergreifende Momente in Eric de Vroedts Inszenierung. Lea (Therese Dörr) wirft ihrem Vater vor, dass er sie allein gelassen hat. Sie wäre lieber mit ihm im Lager gestorben. „Wer will schon überleben?“, fragt sie. Und der schlaksige Martin Horn scheint im Sitzen in sich zusammen zu fallen, Tränen treten ihm in die Augen. Kurz darauf entschuldigt sie sich, er antwortet, er könne sie verstehen. Solche Momente stehen in krassem Gegensatz zur oberflächlichen Partyfröhlichkeit, die im Lauf der Aufführung immer verlogener wird. Eric de Vroedt strukturiert das Stück musikalisch, lässt die Gesellschaft mehrmals gemeinsam aus den Türen in den Salon fluten, schneidet fast wie im Film von einer Szene in die andere.
Was die Aufführung in fast zweieinhalb Stunden ohne Pause etwas zäh werden lässt, ist das Problem vieler solcher Ensemblestücke. Jeder Charakter braucht seinen großen Auftritt, also muss auch jeder ein mindestens mittelgroßes Problem mit sich herum schleppen. Bis dann alle elf – Anna Döing darf als Ausnahme und als Kellnerin Janna einfach nur hübsch, süß und lebensfroh sein – durch sind, dauert es eben. Aber diese Bedenken verfliegen, wenn am Ende der Premiere Judith Herzberg selbst auf die Bühne kommt. Die 80jährige und ihre beiden Geschwister haben ebenfalls die Nazidiktatur getrennt voneinander in wechselnden Familien verbracht. Ihre Eltern überlebten nur, weil ihr Todeszug nach Theresienstadt von der Roten Armee abgefangen wurde. Die Autorin stellt sich bescheiden zu den Schauspielern in die zweite Reihe und strahlt dennoch die Autorität eines Lebens aus, von dem Teile auf der Bühne verhandelt wurden. Das Bochumer Ensemble tut dies mit großer Subtilität, Bettina Engelhardt als Exfrau des Bräutigams und Katharina Linder als still leidende Pflegemutter der Braut ragen heraus.