Foto: Davide Bombanas "Der Prozess" nach Franz Kafka in Karlsruhe. Kt. Flavio Salamanka (Joseph K.), Ensemble © Jochen Klenk
Text:Bettina Weber, am 26. April 2015
Josef K. ist allein. Er ist es zu Beginn dieses Ballettabends, und so viele Tänzer ihn später noch umgeben werden – er bleibt allein, bis zu seinem Ende. Davide Bombanas Ballett „Der Prozess“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe nach Franz Kafkas Romanfragment ist ein bestechend eindrückliches Kunstwerk geworden, das die inneren Konflikte des Protagonisten greifbar macht und seine Isolation von der Umwelt unterstreicht.
Gemeinsam mit rosalie, die für Kostüme und den „Medien-Licht-Raum“ (so heißt es treffenderweise im Programmheft) verantwortlich zeichnet, hat Bombana ein futuristisches Zukunftsszenario entworfen. Auf mehreren, die Bühne umgebenden und diese zeitweise durchbrechenden schmalen Wänden entsteht über matrixartige Video-Mosaikflächen eine digitale Struktur, eine verpixelte Welt. Auch die Gaze an der Bühnenfront wird in der ersten Szene, wenn Josef K. vor der Verhaftung allein und ängtlich auf dem Boden liegt, digital überstrahlt, um deutlich zu machen, dass dieser Josef K. in Zeiten der digitalen Überwachung lebt. Ihn treibt die Angst, seiner Umgebung kann er nicht trauen. „Jemand musste ihn verleumdet haben“, ausgesuchte Worte wie diese hallen laut über Tonband durch den Raum.
Das ebenfalls futuristische, sehr aufwendig-künstlerische Kostümbild erinnert an die Kleidung von Raumschiffbesatzungen in Science-Fiction-Filmen. Fast alle K. umgebenden Figuren, die Wächter, die Kollegen in der Bank, der Advokat etc. sehen durch die halbdurchsichtigen Masken über den Gesichtern, durch ihre Körperhaltungen und die häufig synchronisierten Bewegungen aus wie Androide. Bombana lässt sie teils roboterartig mit den Köpfen wackeln, mit gestrecktem Arm auf Josef K. zeigen, der neben ihnen, außerhalb ihrer Runde steht oder liegt, sich immer wieder verzweifelt mit den Händen den Kopf hält. In diesen Szenen ist die Musik, die an diesem Abend von Walter Fähndrich bis Peteris Vasks reicht, bedrohlich. Es ist, als sei Josef K. der einzige, der letzte Mensch. Kt. Flavio Salamanka schenkt dem Protagonisten mit seiner präzisen Ausführung und seiner darstellerischen Kraft eine ganz besondere emotionale Tiefe. Wie wundersame Auszeiten stehen zwischen den Szenen der Bedrohung die Begegnungen Joseph K.s mit den Frauen, mit Fräulein Bürstner (Bruna Andrade), der Frau des Gerichtsdieners (Rafaelle Queiroz) und Leni (Blythe Newman): Sinnliche, anmutige Duette voller Anziehung. Sie bieten ihm kleine Refugien, Schutzräume. Dagegen sind die Begegnungen mit den männlichen Charakteren von der Unterwürfigkeit Josef K.s geprägt. Bombana hat sich hierbei, wie dem Programmheft zu entnehmen ist, von den Konflikten Franz Kafkas mit Autoritätspersonen inspirieren lassen – ein eher rudimentärer Teil der Werkinterpretation, die ansonsten von der historischen Entstehungszeit der Romanfragmente losgelöst ist.
Davide Bombana hat eine dramaturgisch durchdachte Szenenabfolge choreographiert, vermeidet es aber, allzu konkret nachzuerzählen. Das entspricht der fragmentarischen Vorlage und erweist sich als großer Gewinn: Vielmehr zeigen Bombana, rosalie und das Karlsruher Ballettensemble die große Furcht von Josef K., seine Verlorenheit in einer Welt, die nur noch aus Technik besteht. Zuletzt, wenn der fortgeschrittene Prozess ihn sein Leben kostet, wird er an Seilen kopfüber in die Luft gezogen. Es ist eine pessimistische, aber vielleicht die zeitgemäßeste und anschaulichste „Prozess“-Adaption, die man sich vorstellen kann.