Foto: Noemi Nadelmann als Despina jenseits des Lebensfrühlings. © Priska Ketterer
Text:Detlef Brandenburg, am 25. April 2015
Calixto Bieito, Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte,
Premiere,Theater Basel, Ryusuke Numajiri, Lorenzo da Ponte
Oper, Musiktheater, Theater, Detlef Brandenburg
Die etwas derangierte Lady in Blue, die sich da, an die Wand gelehnt, matt beleuchtet im frostigen Streiflicht, an ihrer Zigarette festhält, hat offenbar das Fest hinter sich. Es war rauschend. Aber jetzt ist die Party vorbei und der Kater kann kommen. Auch ihre besten Jahre hat sie hinter sich, auch der Rausch des Jungseins ist vorbei. Und der Kater wird ihr für den ganzen Rest ihrer Jahre bleiben. „Una donna a quindici anni“ haucht sie vor sich hin, nicht wie eine Arie, sondern nur wie eine spöttisch-schmerzliche Reminiszenz. Ja, so war das damals, und es wird nie wieder so sein.
Wie diese Jugend zu Ende gegangen ist mit all ihrer Liebesschwärmerei und ihrer unbekümmerten Zuversicht, davon erzählt Mozarts Oper „Così fan tutte“. Wenn man aber erst einmal erfahren hat, wie leicht Illusionen zerstieben vor der kalten Indifferenz jenes Triebes, den wir als „Liebe“ verklären, dann bleibt nur – Michel Houellebecq: „Die Liebe gibt es nirgendwo. Das hier ist nur ein grausames Spiel, und ihr seid die Opfer; ein Spiel für Spezialisten nur.“ So lauten ein paar Zeilen aus seinem Gedicht „L’amour, l’amour“. Der Spezialist für die Liebe, der die jungen Leute zur Erkenntnis und damit in den Kater treibt, heißt bei Mozart bekanntlich Don Alfonso. Und die Spezialistin, die ihm dabei zur Hand geht, hört auf den Namen Despina. Sie ist die Lady in Blue an der Wand. Und sie wird an diesem Abend ausgiebig Michel Houellebecq rezitieren.
Genau hier also, wenn die Party des Lebens vorbei ist und Alfonso und Despina, den beiden gealterten Protagonisten dieses Abends, nur noch die schale Nüchternheit einer deprimierenden Erkenntnis bleibt – hier beginnt am Theater Basel Calixto Bieitos Dekonstruktion von Mozarts Oper „Così fan tutte“. Das Bett der Lust, in dem die jugendlichen Helden von einst das Liebesglück in den Armen des Falschen erlebt haben, steht noch mitten auf der Bühne. Die beiden Alten aber wissen, dass der wahre Irrtum darin besteht, überhaupt an einen „Richtigen“ zu glauben. Für sie, Despina und Don Alfonso, sind diese Youngster nur noch Erinnerung. Aber mit der Liebesillusion haben sie auch sich selbst zerstört. Und so rezitiert Despina ihre bitterbösen Gedichte, und Don Alfonso schleudert ihr auf englisch seinen ganzen Abscheu vor ihrem Körper entgegen. In Mozarts Musik aber bleibt der utopische Zauber der Liebe unabweislich gegenwärtig. Immer wenn die Figuren singen und wenn das hinter dem Bett auf der Bühne postierte Orchester spielt, dann erfüllt dieser Zauber den kühlen weißen Raum. Auch Despina kann sich ihm nicht entziehen. Und so sehnt sie sich nach dem, an was sie nicht mehr glauben kann.
Mozarts schönste Arien und Ensembles aus „Così fan tutte“ mit Michel Houellebecqs lyrischen Telegrammen aus der Kampfzone der Liebe zu konterkarieren: Das hat sich Bieito, der sonst oft so wilde Katalane, ganz schön klug ausgedacht. Und er hat es – gemeinsam mit der Koregisseurin Jasmina Hadziahmetovic, auf einer Bühne, die er gemeinsam mit Marion Menzinger entworfen hat – in poetisch trostlosen Szenen von teils großer Einfühlsamkeit umgesetzt. Das Prinzip von deren Aufbau ist die Kontrafaktur von falscher Illusion und krasser Desillusion. Deshalb weicht die Reihenfolge der musikalischen Nummern auch stark von der bei Mozart vorgegebenen ab. Die beiden jungen, von der Bühnenbildnerin Eva Butzkies nur spärlich bekleideten Paare übersetzen das alles in eine sehr einprägsame Körpersprache, während Noemi Nadelmann als Despina über die Länge des Abends zunehmend outriert wirkt und Andrew Murphys Alfonso pure Pose bleibt.
Und was heißt schon „Länge“ bei ca. 80 Minuten?! Dass diese Variationen über Mozarts „Così“ gleichwohl lang wirken, liegt am Fehlen einer zwingenden Dramaturgie. Bei Mozart gibt es eine anfangs nur ganz latente Spannung zwischen Illusion und Desillusion, der Handlungsbogen entsteht aus deren Steigerung bis zum desillusionierenden Bruch. Bieito dagegen beginnt nach diesem Bruch. Deshalb ist die Desillusion von Beginn an völlig fraglos dominant. Die Zuschauer könnten genau so gut wie nach 80 Minuten (nachdem Despinas Spottarie auf die Treue der Männer und Soldaten mittendrin abreißt) auch schon nach 30 Minuten wieder nach Hause gehen. Was ihnen der Abend sagen will, ist bis dahin längst gesagt.
Auch musikalisch bleibt nicht viel mehr als ein Medley der schönsten Nummern, bei dem sich kein organischer Fluss einstellen will. Das ist schade, denn unter Ryusuke Numajiri, dem Lübecker Generalmusikdirektor als Gast am Theater Basel, agiert das Orchester ausgesprochen schlank und subtil. Vor allem das Quartett der jungen Leute leitet Numajiri zu wunderbar zusammenwirkendem Ensemblegesang an. Aber die Sänger haben ja kaum Zeit, sich einzugrooven und wirken auch stimmlich nicht immer erstklassig. Anna Princevas dramatisch agiler Fiordiligi fehlt der klare Fokus, ihre Stimme klingt präsent, aber verwabert; und Solenn’ Lavanant-Linkes lyrisch beseelte Dorabella ist im Timbre etwas stumpf und rhythmisch unpointiert. Iurii Samoilov ist ein schlanker, jugendlich impulsiver Guglielmo, Arthur Espiritu ein biegsamer, im Forte allerdings greller Ferrando. Und Noemi Nadelmanns ausladender Sopran ist auch vom Stimmfach her über das kesse Mädchen Despina weit hinaus, Andrew Murphy hat als Don Alfonso kaum Gelegenheit, sich zu profilieren.
Die Premiere hatte sich wegen Bombenalarms um eine Stunde verzögert. Bieitos Ästhetik, die ja schon manchen Abonnenten auf die Palme gebracht hat, war aber offenbar nicht das Ziel des Anschlags. Denn diesmal huldigt ihm das Publikum mit Applaus und Bravos.