Foto: Dea Loher "Gaunerstück" in der zweiten Inszenierung am Theater Aachen © Wil van Iersel
Text:Detlev Baur, am 27. Februar 2015
Anderthalb Monate nach der Uraufführung am Deutschen Theater (siehe unsere „Abendkritik“ vom 15.1.) zeigt das Theater Aachen die zweite Inszenierung von Dea Lohers „Gaunerstück“. Und erwartungsgemäß fällt nahe der belgischen und holländischen Grenze alles eines Nummer kleiner aus. Die Kammerspiele in Aachen sind räumlich deutlich kleiner als die gleichgenannte Spielstätte am Deutschen Theater, das Ensemble ist auf drei Darsteller reduziert, während in Berlin die beiden Hauptfiguren, das Zwillingspaar Maria und Jesus Maria, gar von jeweils zwei Darstellern gespielt werden.
Auch dürfte in Aachen Regisseur Paul-Georg Dittrich mehr Text gestrichen haben; vor allem aber scheint er die beiden Hauptdarsteller Emilia Rosa de Fries und Philipp Manuel Rothkopf in der ersten Stunde zu einem raschen und lauten Spielen und Erzählen der Geschichte angehalten zu haben. In knappen Szenen mühen sich die beiden auf einer kleinen, schrägen Drehscheibe (Bühne: Pia Dederichs) – einem Glücksrad, das zunehmend zur schiefen und haltlosen Bahn wird –, die Vorgeschichte ihres Aufenthalts in der Schmuckstadt Antwerpen zu berichten. Die Klischees des Stücks wie der spanische Vater, der die Mutter bald nach der Geburt verließ, oder die arme, alkoholkranke, alleinerziehende Mutter werden hemmungslos vorgestellt – und recht schnell von anderen Konstruktionen, den Nachbarn Porno Otto oder der Wahrsagerin Bonafide abgelöst.
Während die Berliner Uraufführung sich wesentlich mehr Zeit und Raum nahm, den Hintergrund der Figuren zu entwickeln und dabei darstellerisch und tänzerisch auch teilweise sehr anrührend wirkte, wird in Aachen die Jagd nach dem Glücksgeld eher pragmatisch abgearbeitet. Dabei kommen die Schwächen des arg konstruierten Stücks eher zum Tragen als seine sprachlichen Stärken. Andererseits wird die spannende Geschichte klar geschildert: das Zwillingspaar aus prekären Verhältnissen einschließlich halbseitigem Migrationshintergrund kommt nach einem missglückten Ringklau mit dem Juwelier Wunder in Kontakt. Und in den letzten zwanzig Minuten taucht auf der kleinen Drehbühne der Aachener Kammerspiele Karsten Meyer leibhaftig als Herr Wunder auf. Er fordert das Pärchen auf, ihn im Geschäft auszurauben und anschließend die Beute gegen 50.000 Euro wieder zurückzugeben.
Und plötzlich fügt sich in diesem „Gaunerstück“ in Aachen alles wundersam zusammen (wohingegen in Berlin das Spiel zunehmend an fehlendem Tempo und der mangelnden Tiefe der Charaktere in der Stückvorlage litt). Die starke Geschichte des Dramas gewinnt Leben, die drei Darsteller zeigen emotional betroffene Figuren, und das Glücksrad wird zur beeindruckenden Metapher für den absurden Kampf ums Geld und für die Unbeständigkeit des Glücks. Der vorgetäuschte Überfall gelingt, doch in der Zeitung lesen Maria und Jesus Maria bald nicht nur vom Raub, sondern davon, dass der Juwelier Wunder (der absprachegemäß gefesselt war) an einem Herzinfarkt am Ort des vermeintlichen Verbrechens verstorben sei. Wie Karsten Meyer als Betroffener diesen Ausgang nicht glauben kann und dann doch mehrfach zu Tode stürzt, und wie Emilia Rosa de Fries und Philipp Manuel Rothkopf hier tödlich getroffen scheinen von diesem unglaublichen Unglück, das gleicht einem kleinen Theaterwunder, ist zumindest ein (wenn auch recht kurzes) Theaterglück. Nun warten die Zwillinge also weiter und hoffen mit dem Schmuck, den sie so gar nicht wollten, das große Glück zu gewinnen.