UA "Hungerleider" am Theater Hof

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Roland Spranger: Hungerleider

Theater:Theater Hof, Premiere:13.02.2015 (UA)Regie:Antje Hochholdinger

Tiefenbohrung in die bundesrepublikanische Vergangenheit: Mit dem Stück „Hungerleider“ von Roland Spranger, einer locker drapierten Szenenfolge um die Mühsal der Eingliederung der vielen vertriebenen Deutschen in die junge BRD und den Umgang mit der NS-Vergangenheit ihrer Bewohner, hat das Theater Hof jetzt einen starken Stoff uraufgeführt, in einer starken Inszenierung von Antje Hochholdinger. Die Geschichte, angesiedelt im Jahr 1960, rührt an die zahlreichen Verletzungen einer Gesellschaft, die sich in selbstauferlegter Apathie möglichst an nichts erinnern will – und dennoch muss. In Sprangers Stück tauchen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche, auch an Tote, die, wenn man ihre Geschichte verdrängt, Untote werden.

Geschichte, erzählt aus der Perspektive einer Handvoll Menschen, die sich immer wieder am Bühnenrand ihrem Publikum erklären, locker verknüpfte Handlungsfäden aus Vergangenheit und Gegenwart: ein Stück voll dramaturgischer Eleganz. Elfriede und Franz Morgner, Vertriebene aus Böhmen, sind zwangsweise neu verpflanzte Sudetendeutsche mit einer rasenden, von Tschechenhass durchsetzten Sehnsucht nach der alten Heimat, dem alten Leben. Anja Stange und Peter Kampschulte stellen das Paar dar, er verbittert in sich verschlossen, sie ganz großherzige Löwin, Kämpferin fürs Dasein, das weitergehen muss vor allem für Tochter Ingrid (Lilija Klee). Der Abend lebt auch von diesen zwei Schauspielerinnen, die beide überzeugend Lebensmut verkörpern, den alten und den jungen.

Ingrid verliebt sich in Peter Stark (angenehm flockig: Florian Bänsch), einen Rock’n’Roller, der aber nach dem Schmähwort der Zeit bestenfalls ein Halbstarker ist. Sein Vater war Soldat und ist nie aus Russland zurückgekehrt, erscheint aber (Philipp Brammer übernimmt mehrere Rollen) als Traumgespinst, an dem, wie an allen Vertretern der älteren Generation in dem Stück, Nazi-Jargon klebt. Ebenfalls eine kräftige Figur ist Polina Bachmann als Peters Mutter Irma, die sich was einbildet auf die erfolgte erfolgreiche Entnazifizierung, wiewohl die ganze Gesellschaft in Sprache und Denkungsart immer noch auf der Zeit der Barbarei basiert.

Generationenkonflikte, Schlussstrichdiskussionen, deutsche Opferhaltung: Natürlich ist „Die Hungerleider“ auch heutiger, politischer Stoff. Keiner verässt seine Heimat gern: Wie geht es solchen Menschen? Morgners werden angefeindet, weil sie arm nach Deutschland kamen; jetzt wirft man ihnen vor, im Gegensatz zu den Alteingesessenen bevorzugt zu werden, hat man Angst um den eigenen Besitzstand. Die Geschichte hat gelehrt, dass die deutsche Gesellschaft von den Vertriebenen stark profitiert hat. Sprangers Stück lehrt derlei Geschichtsbezüge, Hochholdingers 90-minütige Inszenierung nimmt diese auf, verarbeitet sie in unprätentiösem Bühnenbild (Ausstattung: Imme Kachel) mit einem Raum voller vielseitig einsetzbarer Stühle und Sessel vor allem mit eindringlicher Schauspielerarbeit. Inklusive frühbundesrepublikanischer Heilsversprechen: die Miele. Der VW. Rimini.