Foto: "Seid nett zu Mr. Sloane" am Schauspiel Frankfurt. Manuel Harder, Oliver Kraushaar © Birgit Hupfeld
Text:Michael Laages, am 9. Februar 2015
Heute dauert’s sicher etwas länger. Die Inszenierung will sich Zeit lassen mit dem an sich eher ruppigen kleinen Stück; und das Publikum soll sie sich nehmen. Darum tragen gleich alle vier im Ensemble einzeln die jeweiligen Vorreden zu den drei Akten vor – was sagen und bedeuten kann, dass es über das, was gleich passiert, vier Wahrheiten geben könnte, mindestens vier. Und Kathrin, das alte Mädchen, wie in Gefangenschaft gebunden an den Bruder Ed und den fast blinden alten Vater Kemp, deliriert zu Beginn auch die Beschreibung der eher armseligen kleinen Wohnung mindestens drei Mal, wenn nicht öfter vor sich hin – so sehr sehnt sich die einsame Frau nach irgendjemandem; und nun eben nach diesem wunderlichen Untermieter, den sie am Beginn des Stückes gerade mit nach Hause gebracht hat: Mister Sloane.
50 Jahre alt war das Stück geworden, als es im vorigen Herbst plötzlich wieder auf dem Spielplan stand – „Seid nett zu Mister Sloane“, Erstling und Meisterwerk des Dramatikers Joe Orton, dessen wilde, schillernde und sehr kurze Karriere Mitte der 60er Jahre begann: als eine Art Pop-Star am Rande der Legalität, 1967 erschlagen vom eigenen Geliebten. Auch über den dramatischen Erstling stritten Publikum und Politik – denn praktisch nichts an der damals gesellschaftlich ja noch immer recht heiligen Familie ließ Orton heil. Schwester Kathrin ist versponnen und verlassen, auch von allen guten Geistern, seit der schwule Bruder ihr einst den Geliebten wegnahm, weswegen sie prompt das Kind im Bauch verlor; jetzt holt sie den Gelegenheits-Jobber Sloane ins Haus, in eindeutiger Absicht und wieder mal als Ersatz. Ebenso eindeutig nimmt Bruder Ed auch diesen wieder in Beschlag, und da Sloane im Laufe des Abends Papa Kemp umbringt, der Zeuge eines früheren Verbrechens von Sloane war, wird der potente Junge im Geschwisterkrieg wie eine Ware, ein Stück Fleisch, unter den Kämpfern aufgeteilt. Dafür vertuschen beide Kinder den Mord am Papa.
Nurkan Erpulat zeigte das Stück am Berliner Maxim-Gorki-Theater als Boulevard-Klamotte mit Gesang; und setzt eine nennenswerte Pointe – Mister Sloane ist in Berlin ein „POC“, der farbige Deutsche gehört zu den „people of colour“. Mit Jürgen Kruse versprach Frankfurts Schauspiel eine Art psychedelischen Traum und Alptraum aus der Entstehungszeit, eben den 60er Jahren, doch Heidi Ecks, die überkandidelte Kathrin im Stück, erkrankte; die Premiere wurde verschoben. Das war an sich ganz gut so, denn jetzt lässt sich Kruses „Mister Sloane“ auf Volker Hintermeier undurchschaubar zugemüllter Bühne tatsächlich ganz neu sehen.
Wie immer mit edelster, immer extrem zielsicher platzierter Musik durchsetzt, zwingt Kruse das Tempo einer Ballade herbei für Sloanes krudes Entertainment. Und als suchten sie immer erst die Worte für das, was zu sehen und sagen ist, spielen Kathrin, Sloane und Ed im Beziehungstrio unablässig mit Silben und Betonungen; sie finden und er-finden Worte in anderen Worten, bis wie in einer Dauer-Improvisation zwischen Free Jazz und Blues Sprach-Melodien entstehen, die sozusagen lebendiger Sub-Text sind. Das hört sich (wie immer bei Kruse) ab und zu auch ein wenig albern an; aber zum hier entfesselten Streit um Gefühle, ausgesprochene und unausgesprochene, passt die Methode akkurat wie selten. Und obwohl die Figuren immer wieder klingen, als wollten sie eigentlich von sich selber ablenken, setzt sich das kollektive Delirium zunehmend fest im Betrachter; die Pause im Stück wäre eigentlich nicht nötig gewesen.
Per Zufall und durch die Verschiebung geriet die „Sloane“-Premiere in direkte Nachbarschaft zu Sebastian Hartmanns Frankfurter Version (und Vision) von Dostojewskis „Dämonen“; Heidi Ecks und Manuel Harder (als Lüste-Objekt Sloane) waren auch an daran beteiligt und bewältigen nun zwei Überforderungen am Stück. Auch deswegen hat die Souffleuse Samira Delibajric gut zu tun und muss mit in den Premieren-Jubel. Neben Harders fahrigem Erfindungsreichtum kann Oliver Kraushaar als Ed glänzen als extrem konzentrierter Gefühlsstratege; er gibt dem Abend viel Halt. Und für die Wiederbegegnung des Abends sorgt der knurrige Michael Altmann als Papa Kemp. Er sitzt ständig mit im Bühnenbild, unter Decken verborgen – und obwohl Kemp schon tot ist nach der Pause, darf seine Stimme trotzdem noch den dritten Akt ansagen … die schönsten Pointen bei Kruse sind oft die ganz kleinen.
Heidi Ecks schließlich wird in immer neuen Kostümen und unter wechselnden Perücken zu einer Art Chamäleon, einer Marilyn durch alle Zeiten und Pop-Epochen, schrill und schräg, unberechenbar, armselig zum Herzerweichen. Figuren wie diese bescheren dem Einzelgänger Kruse jetzt auch mit der zweiten Arbeit in Frankfurt schon wieder eine kleine Fan-Gemeinde, wie ehedem in Bochum und ganz früher mal in Freiburg – er bleibt das große Unikat unter den Regisseuren im Lande. Mister Sloane und Familie Unheilig waren bei ihm in besten Händen.