Foto: "Global Wunschkonzert" von Laura Naumann am Theater Bielefeld. Warten auf Taten: Christina Huckle, Stefan Imholz, Isabell Giebeler und Jakob Walser (von links). © Philipp Ottendörfer
Text:Jens Fischer, am 8. Februar 2015
Alle Bühnenlichter aus – im Schutz der Dunkelheit den Ausgangs- und Endpunkt der dramatischen Paralyse benennen: „Ich bin so ratlos“ und so „wütend, wie die Gleichzeitigkeit von allem mir das Hirn vernebelt und mich vom Hals abwärts lähmt. Es macht mich wütend, dass ich keine Ahnung hab, was ich machen kann, dass ich nicht weiß, was überhaupt einen Einfluss hat. Ich bin wütend über die privilegierte Position, aus der heraus ich sowas sage.“
Laura Naumann verschriftlichte all das, was sie mit Regisseurin Ivna Žic, Dramaturgin Franziska Betz und den Darstellern Isabell Giebeler, Christina Huckle, Stefan Imholz und Jakob Walser recherchiert hat, um sich mal den ganz großen Fragen der Menschheit zu nähern. Aus der Sicht ihrer hipsternden No-Love-Generation, die nicht weiß wohin mit dem nebulösen Gefühl, dass sich was ändern muss. Wohin mit diesem diffusen Sehnen nach einem anderen Leben? Was tun mit all dem Wissen, was man alles nicht weiß? Und wie ein Stück darüber schreiben, während die Welt brennt?
Sich erstmal wie einst Peter Handke hinsetzen, scheint Naumann gedacht zu haben, bereit sein für das „,Hier und Jetzt’-Experiment“, offen für alles. Und einfach mal das Gewicht der Welt am Uraufführungsort Bielfeld vermessen. Naumanns Tagebuchnotizen aus der Provinz geben die Darsteller nun zum Besten, noch sind die Theaterfenster zur Stadt hin offen, gewähren Ausblicke für die dargebotenen Einblicke. Ratlos wütend formulierte Impressionen aus der Fußgängerzone sind zu hören. Aber kein Erkenntnisse. „Alle sind nur mit sich selbst beschäftigt. Alle schauen auf den Boden, auf ihr Essen oder auf Dinge in Schaufenstern … Es gibt keinen gemeinsamen Entwurf. Alle rennen einfach durcheinander.“
Also fragte das Team mal nach. Was brauchen die Bielefelder, was ist ihr Ziel? Ein Audi A8, Zufrieden- und Gesundheit, jede Menge Süßigkeiten, einen Studienplatz, Frauen flach legen, Schwermut in Leichtigkeit übersetzen, Augenblicken herstellen, in denen es innerlich sprudelt … Die Schauspieler schlüpfen mit ironischer Neugier in die Rollen der so Antwortenden – oder machen sich über das Gesagte lustig, indem sie in Performance-Parodie-Manier einige Lösungsansätze zur konkreten Wunschbefriedigung vorstellen.
Schließlich wird alles auf den Fragebögen Notierte empirisch ausgewertet und verkündet: „Top 1 der Bedürfnisse und Ziele der Bielefelderinnen und Bielefelder ist Glück bzw. Glücklichsein.“ Ratlose Wut über so viel Allgemeinplatzseligkeit. Trotzdem überlegen die Dokutheater spielenden Sinnsucher, wie den Bielefeldern zu helfen sei? Glückshormone für alle? Bedingungsloses Grundeinkommen? Das vergebliche Nachdenken über die Glücksformel kommentieren zwei Darsteller, die ihre Köpfe zwar nicht in den Vogel-Strauß-Sand, aber in einen Mülleimer stecken, um dort die Endlosliste der globalen Unglücksmeldungen des Jahres 2014 zu erinnern. Keine Botschaft, nirgends.
Aber das Motto gilt weiterhin: Nicht unterkriegen lassen. Also ein neuer Versuch: „Können wir uns nicht alle hinlegen und 12 Stunden schlafen? Die ganze Welt auf einmal. Einen tiefen, festen, erholsamen Schlaf. Und dann ein schönes Frühstück, mit Rührei, frischem Brot und viel Kaffee. Wir alle zusammen an einer großen Tafel. Ausgeschlafen und frisch geduscht. Wär das was? Och bitte!“ Stattdessen passiert immer mehr. „Boko Haram verwüstet ganze Dörfer und Städte im Norden von Nigeria. Ein Krankenpfleger in Oldenburg gesteht den Mord an 30 Patienten. Assad soll eine geheime Atomfabrik planen. In Syrien töten Dschihadisten einen Zauberkünstler. In Russland dürfen Transsexuelle und Menschen mit ,Störung der sexuellen Vorlieben’ nicht mehr Autofahren. Die Schweiz löst die Bindung des Franken an den Euro. In Dresden wird in der Nacht nach dem Pegida-Aufmarsch ein Asylbewerber aus Eritrea erstochen …“ Wieder eine wütend ratlos machende Liste. So verquatscht sich das Mimenquartett beim Warten auf Taten.
Es ist konsequent, dass der Arbeitsblätterwust der Autorin dabei pointiert illuminiert – und kein Drama daraus gemacht wird. Denn „das Drama schlechthin“ existiere schon in Bielefeld, wurde recherchiert, nämlich genau jetzt im Winter: wenn „Mülltonnen eingefroren“ sind. Andererseits erklärt das „Globale Wunschkonzert“ innere Ratlosigkeit zur äußeren Form. Wenn es keine großen Entwürfe oder kleinen Antworten zu präsentieren gibt, sind eben nur ständig neu ansetzende Fragebewegungen zu sehen. Klingt läppisch – ist aber im besten Sinne lapidar. Ein unprätentiöser Abend wird äußerst charmant als höchst unterhaltsames Selbstverständigungstheater serviert.
Um vielleicht nächstes Mal irgendwie weiter zu kommen, soll jeder Zuschauer noch schnell aufschreiben, was er gut kann. Vielleicht ergibt sich da ja was. Muss aber nicht. Nichts erwarten bedeutet: alles hoffen. Dann ist einfach Schluss. „So.“ „Passen Sie auf, dass Sie niemanden überfahren auf dem Nachhauseweg.“ „Machen Sie nichts mehr, was Scheiße war.“ „Seien Sie keine Idioten.“ „Wir geben uns auch Mühe.“ Wofür mit geradezu euphorisch zustimmendem Applaus gedankt wurde.