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Schall und Rauch

Pascal Dusapin: Perelà - Uomo di fumo

Theater:Staatstheater Mainz, Premiere:16.01.2015 (DE)Autor(in) der Vorlage:Aldo PalazzeschiRegie:Lydia SteierMusikalische Leitung:Hermann Bäumer

Es ist ja nicht unbedingt so, dass einem zu Pascal Dusapins 2003 in Paris uraufgeführter Oper „Perelà – Uomo di fumo“ auf Anhieb eine Interpretation einfiele. Der in Frankreich und auch hierzulande ziemlich angesagte Komponist hat sich da einen ziemlich entlegenen Text aus der italienischen Moderne zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts hergenommen: „Il codice di Perelà“ des italienischen Futuristen Aldo Palazzeschi, weniger ein Roman als vielmehr eine Folge von Dialogen über den Titelhelden, also bereits aufgeladen mit dramatischer Impulsivität und viel burleskem Witz. Die Handlung ist parabelhaft: Der „Mann aus Rauch“, der als gestaltloses Wesen einer sinnentleerten, in hohlen Ritualen und verlogenen Haltungen erstarrten Gesellschaft gegenüber tritt, wird zur Projektionsfläche für deren diffuse Sehnsüchte und Ängste. Als aber einer seiner Bewunderer bei dem Versuch, sich ebenfalls in Rauch aufzulösen, leider nur zu Kohle verbrennt, wird der an allem völlig unbeteiligte Held als Mörder verdammt und in einen Kamin gesperrt. Der aber kann so einen Mann aus Rauch natürlich nicht lange halten… Dass am Staatstheater Mainz aus dieser seltsamen Parabel pralles und sinnliches Theater wird – das ist wahrlich ein überrumpelnder Coup der Inszenierung von Lydia Steier.

Schon mit seinem eigenhändigen, wie der Roman italienischsprachigen Libretto ist Dusapin etwas gelungen, was Komponisten selten fertig bringen: Seine Oper, im Text ganz nah am Original, aber von 19 auf zehn „Capitoli“ kondensiert, hat einen geschickten dramaturgischen Aufbau, der die schon bei Palazzeschi angelegten Anklänge an Neoklassizismus, Marionettenspiel und Commedia dell’arte aufgreift. Damit bewegt sich „Perelà“ in einem Umfeld, in dem auch Strawinskys „Petrouchka“ und „Pulcinella“, auch Strauss‘ „Till Eulenspiegel“ zu Hause sind. Auch Dusapins nur sehr gemäßigt moderne, musikhistorisch anspielungsreiche, effektvoll lautmalerische und rhythmisch scharf profilierte Musik findet hier Anregungen. Sie folgt dem dramatischen Verlauf und seinen Affekten hautnah, ohne profilierte eigene Formambition, aber farbenreich instrumentiert, mit schönen artifiziellen Effekten wie den Echo-artigen Soundscapes, die dem Geschehen einen überhöhenden Resonanzraum geben. Für diesen anspielungsreichen, mal funkelnden und mal gewitternden, mal grellen und dann wieder melancholischen Kosmos findet Lydia Steier eine geradezu kongeniale, scharf gezeichnete, zugleich puppenlustige und blitzgescheite szenische Gestalt.

Die ebenso bizarren wie opulenten Kostüme von Gianluca Falaschi mit ihren kunterbunt historisierenden Pluderhosen und Reifröcken, Spitznasen und Turmperücken, Plusterbäuchen und Polsterschultern sowie die Bühne von Flurin Borg Madsen mit ihrem Dreieck-Architektur-Segment im Zentrum, das gründerzeitliche Hausfassade, hierarchische Monumentaltreppe und Puppenstube mit Interieurs in sich vereint, stellen der Regie eine hochartifizielle, puppenspielhafte Welt zur Verfügung. Steier organisiert diese Welt mit feinem Gespür für den dramatischen Verlauf und die Rhythmik der Musik.

Aber nicht nur das. Durch geschickt gesetzte eigene Akzente spitzt sie die Interpretation sinnfällig zu. Natürlich kann der Held Perelà auf der Bühne schlecht aus Rauch bestehen. Wenn Steier ihn nackt auftreten lässt – und der Sänger Peter Tantsits macht das wirklich mit grandioser Souveränität –, schafft sie den präzisen Gegenpol zur Kostümopulenz der Gesellschaft. Durch die schrillen Kostüme sind sie nämlich alle, der Zeremonienmeister, der Kammerdiener, der Bankier, der Erzbischof, der Philosoph, typisiert und damit festgelegt in Habitus und Charakter. Perelà aber ist nackt, unschuldig, sozial indifferent. Folglich bewegen sich die Gesellschafts-Figuren auch alle typisiert, ja, karikiert: in schrillen Posen, hektischen Gesten. Perelà dagegen ist eine sich windende, gleichsam instabile Körpersprache zugeordnet: Er ist unschuldig, rein, ein Ingénu im Sinne Voltaires, der das Verzerrte und Verkommene dieser Gesellschaft zum Vorschein bringt. Eine tolle Idee ist es auch, der verliebten Bellonda eine kleine Tochter beizugeben, die zu Perelàs Schwester im Geiste wird: unschuldig auch sie, und wie er einer verkehrten Gesellschaft ausgesetzt.

Durch solche Akzente und genau gesetzte Aktionen schärft Steier den Sinn hinter dem wahrlich quietschkomischen, bilderbuchbunten, kurzweiligen szenischen Geschehen. Und das Ensemble bringt die Figurenprofile ebenso engagiert über die Rampe wie die Gesangspartien. Man merkt dem Tenor Peter Tantsits zwar an, dass die Höhen der Titelpartie unbequem sind, interpretatorisch charakterisiert er die Figur aber äußerst einprägsam. Eindrucksvoll auch, wie klangvoll die Mezzosopranistin Geneviève King den enormen Tonumfang der in Perelà verliebten Bellonda meistert. Und Marie Christine Haase gibt der Königin quecksilbrige Koloraturnervosität und der Tochter des Alloro hysterische Durchschlagskraft. Alle im großen Ensemble, Peter Felix Bauer als Zeremonienmeister und Minister, Hans-Otto Weiß als Kammerdiener, Heikki Kilpiläinen als Bankier Rodella, Alin-Ionut Deleanu als falsettierender Erzbischof bis hin zum von Sebastian Hernandez-Laverny bestens präparierten Chor sind mit Profil und Präsenz in ihrer jeweiligen Rolle. Und Hermann Bäumer dirigiert dieses Ensemble und das vorzüglich aufgelegte, nur anfangs eher grobkörnig statt „rauchig“ klingende  Philharmonische Orchester mit großer Übersicht und viel Sinn für Dusapins rhythmische Schärfe und reiche Klangfarben.

Es gibt wirklich viel zu sehen, zu hören und jede Menge zu denken, viel mehr, als hier erzählt werden kann. Der Abend ist ein Totalerlebnis – da muss man hinfahren!