Foto: Engelbert Humperdincks "Königskinder" am der Semperoper Dresden. Kinderkomparserie (Katze), Barbara Senator (Die Gänsemagd), Tänzerin Semper mobilis (Gans) © Matthias Creutziger
Text:Joachim Lange, am 22. Dezember 2014
Manchmal kann dem Spielplan eines Opernhauses eine beängstigende Aktualität zuwachsen. Selbst wenn das Haus, wie in Dresden, schon viel zu lange ohne Leitung und dramaturgischer Ambition wie ein Tanker ohne Kapitän einfach nur seinen Kurs hält. Dort hatte gerade ein über einhundert Jahre altes, selten gespieltes Werk Premiere, in dem es darum geht, wie man auf der Flucht ausplündert wird und am Ende doch verhungern kann. Weil eine selbstgefällige Bürgerschaft fremde Menschen nicht (an-)erkennen will, sondern diese Königskinder verlacht und verjagt. Und wie sie den einzigen, der sie erkennt, fast tot schlägt. Es ist Engelbert Humperdincks tieftraurige Märchenoper „Königskinder“, die besser zur gegenwärtigen Stimmungslage in Dresden passt, als man sich das noch vor einem halben Jahr hätte träumen lassen….
Humperdinck (1854-1921) ist zwar mit seiner unverwüstlichen Weihnachtszeit- und Einstiegsoper „Hänsel und Gretel“ keineswegs nur so eine Art Wagner für Kinder. Der Wagnerianer ist allerdings nicht zu überhören. Vor allem in der 1910 an der New Yorker Met uraufgeführten, anderen Märchenoper „Königskinder“ zu dem dreizehn Jahre davor verfassten Libretto der jüdischen Schriftstellerin Elsa Bernstein.
Hier sind eine Gänsemagd und ein Königssohn auf Wanderschaft die tragischen Helden. Die Gänsemagd wächst fernab der Welt bei einer Hexe auf, die den Bürgern von Hellastadt voraussagt, dass am Königstag beim Glockenschlag Zwölf der ersehnte König durchs Tor schreiten wird. Als da aber nur die Gänsemagd kommt, und der Königsohn, der sich hier als Schweinehirt verdingt, sie zu seiner Königin ausruft, werden sie verlacht und vertrieben. Und der Spielmann, der sie erkennt, wird zusammengeschlagen. Am Ende sterben beide vor Hunger und in der Kälte zusammen, aber ohne ein Leben wie sie es eigentlich hätten haben können. Regisseurin Jetske Mijnssen und ihr Ausstatter Christian Schmidt sehen das Märchen als eine düstere Vorahnung des aufkommenden Faschismus. Die Bürger von Hellastadt sind im Look der 20/30er Jahre herausgeputzt, die Handlung ist in ein entsprechendes, prachtvolles Treppenhausfoyer verlegt, wie es für diesen Ausstatter typisch ist. Im ersten Aufzug, der ja bei der Hexe (Tichina Vaugh) fernab jeder Zivilisation spielt, hakt das etwas, da markieren nur eine herein wuchernden Baumkrone und Kinder in Tiermasken die Natur. Doch bei den Bankett-Vorbereitungen für den erwarteten König und schließlich bei der Rückkehr in das jetzt zerstörte (Hexen-)Haus des Anfangs, in das es hineinschneit, entfaltet es seine packende, niederschmetternde Wirkung dann doch. So wie das inszeniert ist, ist es politisch, aber ohne zu plakativ zu werden. Wenn der Spielmann zusammengeschlagen wird, dann sind das hier zwei stramme Kellner im Frack und nicht in brauner Uniform. So wird der bittere Zeitbezug dem Zuschauer überlassen.
Eine ebenso große Herausforderung ist, dass Humperdinck nicht den Sinn für dramatische Zuspitzung hat, wie Wagner. Der erste und der dritte Akt ziehen sich bei den „Königskindern“ in die Länge – ohne dass dabei weder die Handlung noch die Musik wirklich entscheidend vom Fleck kämen. Weil dieses spätromantische Schwelgen jedoch zur Kernkompetenz der Sächsischen Staatskapelle Dresden gehört, nimmt man das hin. Auch wenn nicht Christian Thielemann am Pult steht und der 1971 in Tallin geborene Mikhel Küston für den ursprünglich vorgesehenen Hartmut Haenchen eingesprungen ist und nicht jede Feinheit im Graben schon ihr Optimum erreicht haben mag. Diese Kapelle ist allemal der denkbar beste Anwalt für diese tieftraurige Musik. Sie vermag es, den Klangzauber und die Eloquenz zu entfalten, das aufrauschend Wagnernde und das Liedhafte durchsichtig zu zelebrieren.
Die beiden Titelpartien waren bei dem schön timbrierten Tomislav Muzek und der mit Wärme gestaltenden Barbara Senator gut aufgehoben. Aus dem insgesamt überzeugenden Ensemble ragte Christoph Pohl als kraftvoller Spielmann mit Liedsängerqualitäten heraus. Dem Knaben an seiner Seite (Georg Bartsch vom Kreuzchor) bleibt neben seinem imponierend sicheren vokalen Beitrag, das einzige Fünkchen Hoffnung am Ende. Da schließt er die Fiedel des Spielmanns ganz fest in seine Arme und ein zartes Licht auf ihn fällt. Mitten in all der Trauer um den um sich greifenden Tod. Es gab viel Beifall in Dresden für dieses Kindertotenlied im Opernformat.