Foto: Die Dresdner Uraufführung von Thomas Freyers "Mein deutsches deutsches Land". v.l.n.r.: Lea Ruckpaul, Jonas Friedrich Leonhardi, Ina Piontek, Thomas Braungart, Kilian Land, Matthias Luckey © Matthias Horn
Text:Michael Laages, am 5. Dezember 2014
Wenn aus den ersten Anläufen im theatralischen Umgang mit dem mörderischen Treiben des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) irgendetwas zu lernen war, dann dies – dass das Scheitern immer absehbarer wurde, je dokumentarischer sich die Bühne dem Skandal zu nähern begann. Da waren und bleiben (auch parallel zum mittlerweile weithin unbeachtet voran gehenden Prozess gegen die NSU-Überlebende Beate Zschäpe in München) die journalistischen Medien näher dran am Stand der Dinge. Auf Theater-Projekte in Braunschweig und Berlin, Frankfurt, Karlsruhe und München folgt nun Dresden: mit der Uraufführung von Thomas Freyers neuem Stück „mein deutsches deutsches Land“. Das Scheitern ist umfassend.
Freyer hat die NSU-Geschichte quasi verpackt in einer ähnlichen Fabel – und zeigt drei junge Leute, die verführbar sind für rechtes Denken und potenziell mörderisches Handeln, un- oder missverstanden von Eltern, Lehrern, Nachbarn… Nach und nach (und wahllos) tötet das Trio über ein Dutzend Studenten mit migrantischem Hintergrund. Und der Staat schaut zu. Besser: schaut weg. Karrieristische Politiker wollen sich keine Wahlkämpfe vermiesen lassen durch Nachrichten von rechtem Terror; und so behindern sie mit Hilfe vom Verfassungsschutz (der auf Verbindungsleute in der Szene setzt) die teilweise engagierten Ermittlungen der Polizei. Die Politik instrumentalisiert die Geheimdienstler, diese wiederum deckeln die Hierarchen innerhalb des Polizei-Apparats, die erteilen den Kommissaren vor Ort Recherche-Verbot. Dass einer der Ermittler einst eine Dienstwaffe in der rechten Szene verkaufte, macht die Sache nicht leichter.
Bis auf die letzte Spekulation sind (womöglich) alle Details über die rechtsäugig blinden Geheimen in Thüringen ziemlich umfassend bekannt geworden; deren allumfassendes, bis an die Grenze zur Mittäterschaft reichendes Versagen führte nicht nur zum Untersuchungsausschuss, sondern letztlich auch zum aktuellen Wechsel-Spektakel um das Amt des Ministerpräsidenten in Erfurt.
Thomas Freyer verteilt nun den Theatertext unter dem Titel „mein deutsches deutsches Land“ auf drei Zeitebenen – „gestern“ (etwa 2004) bildete sich die explosive Energie des Terror-Trios heraus; „heute“ (etwa heute…) sind alle Morde bekannt, die Ermittlungen waren trotz aller Behinderung erfolgreich, quasi per Zufall, und die Terroristen sind bekannt, sind tot oder stehen vor Gericht. „Morgen“ haben zwei von ihnen neue Identitäten bekommen, damit alles unter der Decke bleibt; trickreich wird politisch vertuscht, wie staatliche Instanzen vertuschten – und die ärgste Made im Polit-Speck, einst oppositioneller Vorsitzender im Untersuchungsausschuss und dann selber Innenminister, wird schlussendlich Kanzler; mit geheimdienstlicher Hilfe.
Hätte Freyer einen Thriller schreiben können oder auch nur wollen, es wäre vielleicht einer draus geworden. Der Autor aber ließ sich den Blick von Klischees vernebeln – schon bei der Recherche im Umfeld der drei wandelnden jungen Zeitbomben, erst recht aber im Polizei- und Geheim-Milieu. Freyer will schreiben, wie die so reden – und versinkt in mies kopierter Banalität; weit unter seinen normalen Möglichkeiten. Außerdem hat er filmschnittschnelle Szenenwechsel geschrieben – aber zwischendurch muss sich halt die Spielfläche mit Rückwand eben doch immer drehen auf der kleinen Dresdner Bühne; das tut sie zwar so schnell wie möglich, aber das sprachlich so hohl klappernde und plappernde Spiel erreicht so nie das Tatort-Tempo, das es bräuchte.
Tilmann Köhler, sonst ein so kluger Durchblicker als Regisseur, verschlimmert das Problem, indem er dem nur durch Sprache handelnden Personal schräge Profilideen verpasst: Verfassungsschützer Degen spielt (im Büro!) gern mit Panzern und Soldaten, Polizei-Hierarch Pohl ist immerzu mit irgendwelcher dienstferner Fitness beschäftigt, Kommissarin Stotzner hat eine Katze… aber natürlich nicht wirklich. Am Rand der Bühne betätigen sich die Ensemblemitglieder auch noch als Geräuschemacher … und das bloß, um hanebüchene Regie-Ideen zu beglaubigen, kreiert aus Angst vor Langeweile mit Trocken-Brot-Text.
Außerdem spielen sechs Personen 30 Rollen. Konzentration auf Einzelprofile ist fast unmöglich. So stolpert das Stück drei Stunden lang dahin (gefühlte viereinhalb …), hat keinerlei neue Erkenntnis, keine neue Forschung zu bieten und ergeht sich final in Spekulation über die böse-böse Politik. So gibt es nichts, wirklich: gar nichts, womit „mein deutsches deutsches Land“ der politischen Apokalyptik des Themas gerecht werden könnte.