Foto: "Die lächerliche Finsternis" - Christopher Rüping inszeniert ein "Hörspiel" von Wolfram Lotz. Von links: Nicki von Tempelhoff als markig wortkarger Bundeswehroffizier, Peter Maertens als irre gewordener Leutnant und Pascal Houdus als sinnsuchender Sidekick im Herz der Finstenris, das für sie der "Arsch der Welt" ist. © Krafft Angerer
Text:Jens Fischer, am 6. November 2014
Das Schöne an der Show des Seins ist seine Wahrnehmung – als Schein. Auf den Welt bedeutenden Brettern wird das täglich sicht-, befrag-, verhandelbar gemacht. Eine Binsenwahrheit. Die Regisseur Christopher Rüping noch einmal einen ganzen Abend lang feiern will. Nichts ist, was es scheint. Schon im Prolog der deutschen Erstaufführung von Wolfram Lotz’ „Die lächerliche Finsternis“: die Verteidigungsrede eines somalischen Piraten, die auch Anklage des globalisierten Kapitalismus-Irrsinns ist. Aber natürlich kein authentisches Dokument, sondern aufgeschrieben vom Herrn Lotz. Der Spielverabredung gemäß behaupten die Schauspieler, der Piraten-Darsteller sei heute nicht erschienen. Was natürlich nicht stimmt, sondern eine Regieidee ist. Nun soll, bitte, jemand aus dem Publikum den Text lesen. „Katinka hier aus Hamburg“ meldet sich, will ihren Beruf nicht preisgeben und legt los. Aber natürlich ist sie nicht irgendeine Zuschauerin, sondern Dramaturgin Katinka Deecke, die am Theater Bremen auch solche Performances organisiert.
Ein Doppel-Fake sozusagen, der mit dem Absingen von „We are the world“ (Michael Jackson / Lionel Richie) noch Kitschsahne als Topping erhält und das Prinzip der Lotz-Dramatik durchaus andeutet: Bilder, die wir sehen, sind immer Bilder, die wir herstellen. Grenzlinien werden diffus. Nie können wir das Andere, Fremde vollständig verstehen, immer kommen uns verinnerlichte Klischees dazwischen. Auch eine Binsenwahrheit. Aber dahinter, ja, so viele Postpostmoderne klagt der Autor ein, liegt das ganze Elend: Krieg, Ausbeutung, Gewalt, Tod. Da müssen wir ran. Auch im Theater. Die Wahrheit hinterm Spiel suchen. Indem wir die Sprache ins Stolpern bringen, Erzählstrukturen immer wieder abbrechen, also den Schein aufbrechen und das Sein des Seins ansprechen. Auf geht’s zur Joseph-Conrad-Mission „Apocalypse now“, in die äußere Wildnis, um die innere auszuleben, eine Reise ins verkommene Herz unserer Krisenwelt – ans Ende der Politik, des Verstehens, der Menschlichkeit, der Zivilisation. Hinein in die Finsternis der Erkenntnis, des Unterbewussten – ins Vakuum des Ichs.
Da Lotz seinen abenteuerlich reichen, aufregend fragmentarischen, selbstbezogen kalauernden Lesetext ins Genre „Hörspiel“ einsortiert, nimmt ihn Regisseur Christopher Rüping beim Wort und inszeniert eine Show im „Radio Pumbawamba“-Studio. Der Moderator ist wie üblich ein Gute-Laune-Terrorist, Nachrichten werden verlesen mit den Schlagzeilen der wöchentlich ausgetauschten Krisengebiete. Das Ensemble spielt Musik, Jingles, Werbung, Lesung und inszeniert Lotz’ Material – als Live-Hörspiel. Per Live-Stream bei jeder Aufführung auch auf der Thalia-Homepage zu hören.
Aus Joseph Conrads Romanreise der Kolonialisten auf dem Kongo durch Afrika wurde einst Francis Ford Coppolas Filmreise der GIs auf dem Mekong durch Vietnam nach Kambodscha, nun ist es eine Theaterreise von Bundeswehrsoldaten auf dem Hindukusch durch den afghanischen Dschungel. Auch so ein Lotz-Gag. Da wir ja noch nie dort waren: Wer weiß denn schon, ob der Hindukusch ein karges Gebirge oder tropischer Fluss ist? So wie einst Grateful-Dead-Musiker die Urwaldklänge für den Filmsoundtrack perkussionierten, wird er jetzt von den Schauspielern inszeniert. Das Publikum muss schon wieder mitwirken: Aus kollektivem Händereiben und Füßegetrappel entstehen Regenwaldgeräusche, aus „Tsss“ und „Huuhu“ der Wind, dazu Affengequieke und Vogelgepiep. Die Offenlegung der Produktionsmittel der Illusionsmaschinerie läuft auf Hochtouren.
Die Live-Zuschauer bekommen zu den Hör- auch Sehbilder. Herzlich albern, wie sich die Darsteller mit Wasserzerstäubern den Dschungelschweiß auf die Haut spritzen. Hinreißend komisch die Marketingidee, Kriegselend fürs Geschäftemachen zu nutzen: Ein serbischer Händler illustriert mit Feuerzeug und Kerze wie eine Nato-Bombe sein Haus illuminiert, die Feuerbrunst seine Familie erstickt hat. Und wie er da nun im Adventskerzenkitschschein so besinnlich blinzelt, sollen wir, hoffentlich gerührt, ihm doch was abkaufen, lactosefreien Käse, Investmentfonds oder zumindest eine Stinkesocke. Bringt 2 Euro.
Das famose Ensemble ist multifunktional derart mit der Show der Klischees beschäftigt, dass die hinter all dem liegenden Zumutungen der Realität nicht transparent werden. Rüping lässt die Angebote des Stücks ungenutzt, den Text zu öffnen, den Jokus aufzureißen. Kittet vielmehr die Risse, verputzt die Brüche, bedeckt die Abgründe im Spielideenrausch. Der immer schriller – Leerlauf erzeugt.